So soll die Stromsteuer in den kommenden zwei Jahren von derzeit rund 1,5 Cent auf den europäischen Mindestbetrag von 0,05 Cent je Kilowattstunde gesenkt werden. Von der Steuersenkung profitieren alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes, also auch und ausdrücklich die mittelständische Wirtschaft. Die Senkung der Stromsteuer tritt an die Stelle des so genannten "Spitzenausgleichs", einer Steuererstattung, von der bislang rund 9000 Unternehmen profitiert hatten. Der Spitzenausgleich ist nur noch bis Ende des Jahres verbindlich geregelt. Nach dem Willen der Ampelparteien soll die Absenkung der Stromsteuer auch in den Jahren von 2026 bis 2028 gelten, wenn der Bundeshaushalt das zulässt. Eine finale Entscheidung darüber kann allerdings erst der nächste Bundestag treffen.
Auch die "Strompreiskompensation" will die Koalition ausweiten. Von dem bereits bestehenden Instrument, das einen großen Teil der Kosten des CO2-Zertifikatehandels erstattet, profitieren rund 350 Unternehmen mit besonders hohem Energieverbrauch. Bislang mussten diese Firmen einen Eigenanteil von aktuell rund 70.000 Euro je Produktionsanlage selbst tragen. Dieser fällt künftig weg.
Die rund 90 Unternehmen mit dem höchsten Energieverbrauch bekommen einen Zuschlag, das so genannte "Super Cap". Auch hier gab es bislang einen Sockelbetrag, der künftig wegfallen soll.
Durch die Neuregelungen werde die energieintensive Grundstoffindustrie künftig Strom zu einem Preis von sechs Cent je Kilowattstunde beziehen können, hieß es am Donnerstag in Regierungskreisen. Unter Umständen könne der Preis sogar noch etwas niedriger liegen.
Die sechs Cent entsprechen exakt jenem Wert, den Wirtschaftsminister Habeck seit Monaten für energieintensive Unternehmen fordert. Habeck hatte im Frühjahr ein Konzept für einen Industriestrompreis präsentiert. Nach seinen Vorstellungen hätte der Staat den Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum die Differenz zwischen den festgelegten sechs Cent und dem jeweiligen Börsenstrompreis erstattet.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte ein solches Konzept strikt abgelehnt, und mit ordnungspolitischen Bedenken sowie der Sorge um die Finanzierbarkeit argumentiert. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich skeptisch gezeigt. Dass die unter den hohen Energiepreisen leidende Unternehmen entlastet werden müssen, war allerdings unstrittig.
Am Ende waren es Scholz, Habeck und Linder persönlich, die den Kompromiss geschmiedet haben. Noch Ende Oktober hatte Habeck die Chance auf die Einführung eines Industriestrompreises mit 50:50 bewertet, danach soll Bewegung in die Sache gekommen sein.
Die Senkung der Stromsteuer wird den Bund jährlich 2,75 Milliarden Euro kosten und in den kommenden zwei Jahre aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Weil die Konjunktur derzeit schwächelt, hat Finanzminister Linder mehr Spielraum für die Kreditaufnahme, ohne dass er gegen die Regeln der Schuldenbremse verstößt. Ab 2026 brauche man eine Gegenfinanzierung, heißt es in der Bundesregierung.
Die übrigen Entlastungen werden aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) bezahlt. Das Wirtschaftsministerium kalkuliert mit Kosten von 28 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren. Rechne man die bereits beschlossene Abschaffung der EEG-Umlage sowie den neuerlichen Zuschuss zu den Netzentgelten hinzu, summiere sich die Entlastung von Bürgerinnen, Bürgern und Wirtschaft auf 54 Milliarden Euro, hieß es.
In der FDP legt man nun Wert auf die Feststellung, dass die Liberalen Habeck Industriestrompreis verhindert hätten. "Der marktwirtschaftliche Lösungsansatz hat sich durchgesetzt. Die Koalition setzt auf Steuersenkungen statt auf komplizierte Subventionskonstrukte", sagte Fraktionsvize Christoph Meyer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Neben der Industrie profitiert jetzt auch der Mittelstand, das war gerade der FDP von Anfang an ein zentrales Anliegen", fügte er hinzu.
"Der Industriestrompreis kommt", verkündete hingegen Grünen-Chef Omid Nouripour. "Damit halten wir die Industrie in Deutschland, schaffen Planungssicherheit und schützen gute Arbeitsplätze."
Thilo Schaefer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), begrüßte die geplanten Entlastungen für Unternehmen: "Die Stromsteuersenkung kommt zur rechten Zeit. Das charmante an dieser Lösung: Sie ist unbürokratisch und entlastet in der Breite", sagte er. Sowohl der kleine Bäcker nebenan als auch viele mittelständische Unternehmen profitieren von der sinkenden Steuer.
Der IW-Experte betont: "Kurzfristig wird der Kostendruck auf die Wirtschaft damit etwas gelindert, doch die langfristige Planungssicherheit bleibt ungewiss." Zwar werde die Strompreiskompensation für die energieintensive Industrie für weitere fünf Jahre verlängert, doch ob das reiche, um Investitionsanreize zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern, sei fraglich.
Kritischer äußerte sich der Jurist und -Energieexperte Götz Reichert vom Centrum für europäische Politik (cep). "Der Deal könnte auf Sand gebaut sein, da die Strompreiskompensation aus dem Klima- und Transformationsfonds KTF finanziert wird. Diese Finanzierungsquelle könnte versiegen, sollte das Bundesverfassungsgericht demnächst urteilen, dass die Umwidmung von 60 Milliarden Euro von Corona-Hilfen für den KTF verfassungswidrig ist", sagte er. Das Urteil des Verfassungsgerichtes wird am kommenden Mittwoch erwartet.
Wirtschaftsvertreter zeigten sich trotz der Kritik erleichtert. Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands BDI sprach von einem wichtigen Schritt in Richtung mehr Wettbewerbsfähigkeit. "Nun gilt es die Beschlüsse schnell umzusetzen, damit die Unternehmen ihre Produktion entsprechend planen können."
Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, nannte das Entlastungspaket eine "überfällige" Entscheidung. Er würdigte, dass die Ersetzung des Spitzenausgleichs durch eine Steuersenkung zu weniger Bürokratie führe. "Das Strompreispaket auch ein Baustein für den Bürokratieabbau." Etwas verhaltener äußerte sich die mittelständische Wirtschaft. Zwar begrüßte der Mittelstandsverband "BVMW" die Absenkung der Stromsteuer, allerdings sei diese nicht mehr als "ein Tropfen den heißen Stein". Weitere Schritte müssten folgen.