Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat die jüngste Entscheidung der Bundesregierung zur Ausweitung von Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen scharf kritisiert. Er betonte, dass die Kontrolle der EU-Außengrenzen die einzige effektive Maßnahme sei, um irreguläre Migration zu verhindern, nicht jedoch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen EU-Mitgliedsstaaten. Tusk äußerte sich dazu nach einem Telefonat mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, das am späten Freitagabend stattfand. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) erklärte er, dass die polnische Haltung in dieser Frage unverändert sei.
Die Bundesregierung hatte kürzlich entschieden, die stationären und mobilen Grenzkontrollen auf alle deutschen Außengrenzen auszudehnen. Diese Maßnahme tritt am 16. September 2024 in Kraft und ist vorerst auf sechs Monate befristet, mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Der Schritt erfolgt als Reaktion auf die zunehmende Zahl irregulärer Migranten, die über Nachbarstaaten nach Deutschland einreisen.
An der deutsch-polnischen Grenze sind solche Kontrollen bereits seit Monaten aktiv, da die Region einen starken Anstieg von Migranten und Schleuseraktivitäten verzeichnet. Besonders stark betroffen sind die Grenzen zu Polen und Tschechien, wo die Bundespolizei bereits seit Oktober 2023 verstärkte Kontrollen durchführt.
Tusk sieht in der Ausweitung der Kontrollen eine Gefahr für die Grundprinzipien des Schengen-Abkommens, das den freien Personenverkehr innerhalb der EU ermöglicht. Auch der polnische Vizeaußenminister Wladyslaw Teofil Bartoszewski äußerte Bedenken und sprach von einem "Ende des Geistes von Schengen". Polen pocht weiterhin auf eine Lösung, die an den Außengrenzen der EU ansetzt und fordert eine engere Kooperation aller EU-Staaten.
Nach Angaben des deutschen Regierungssprechers Steffen Hebestreit drehte sich das Gespräch zwischen Scholz und Tusk um Maßnahmen zur Reduzierung irregulärer Migration, die im Rahmen der europäischen Rechtsordnung bleiben. Beide Politiker seien sich einig gewesen, dass das Problem nur durch eine enge Zusammenarbeit der europäischen Partner bewältigt werden könne. Dabei betonte Scholz die migrationspolitischen Maßnahmen, die die Bundesregierung in den letzten Monaten auf den Weg gebracht hat.
Während die polnische Regierung Kritik übt, gibt es innerhalb Deutschlands Forderungen nach noch härteren Maßnahmen. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, sprach sich dafür aus, dass auch andere EU-Länder den deutschen Kurs übernehmen sollten. Er fordert einen "Dominoeffekt", der dazu führen soll, dass mehr Länder ihre Grenzen verstärkt kontrollieren, um den Druck auf die EU-Außengrenzen zu erhöhen. Besonders Österreich sieht Dobrindt in der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um Asylbewerber bereits an den Außengrenzen der EU zu registrieren und nicht erst in Österreich oder Deutschland.
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schloss sich den Forderungen nach strengeren Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen an. Er forderte, dass Asylbewerber, die über sichere Drittstaaten wie Polen oder Österreich einreisen, direkt abgewiesen werden sollten. "Das geltende Recht muss endlich konsequent durchgesetzt werden", betonte Woidke. Er sieht Deutschland an der "Belastungsgrenze" und forderte rasche Entscheidungen der Bundesregierung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Ausweitung der Grenzkontrollen erneut gegen Kritik aus verschiedenen Lagern. Sie verwies darauf, dass die bereits seit Oktober 2023 eingeführten Grenzkontrollen dazu beigetragen haben, dass über 30.000 Menschen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen wurden. Dies habe zu einem Rückgang der Asylzahlen um mehr als ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr geführt.
Faeser betonte, dass nationale Maßnahmen notwendig seien, bis die geplante europäische Asylreform greife. Sie verwies darauf, dass ab dem 16. September die Bundespolizei an allen deutschen Binnengrenzen, einschließlich zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark, stationäre und mobile Kontrollen durchführen werde. Diese Maßnahmen seien zunächst für ein halbes Jahr vorgesehen, könnten aber verlängert werden, wenn sich die Migrationslage nicht entspanne.
Die Gewerkschaft der Polizei äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzung der verschärften Kontrollen. Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft für den Bereich Bundespolizei, erklärte, dass es aufgrund von Personalmangel schwierig werde, die Maßnahmen vollständig durchzusetzen. Bereits jetzt müsse die Bundespolizei zusätzliche Kräfte zusammenziehen, um die geforderten Kontrollen zu gewährleisten. Roßkopf warnte vor einer möglichen Überlastung der Einsatzkräfte, da die Kontrollen möglicherweise über das geplante halbe Jahr hinaus andauern könnten.
Zudem wies er darauf hin, dass bereits viele jüngere Kollegen aufgrund der hohen Arbeitsbelastung kündigen. Sollten die Grenzkontrollen langfristig fortgesetzt werden, könne dies zu noch größeren personellen Engpässen bei der Bundespolizei führen.
Die Diskussion über die Kontrolle der Binnengrenzen und den Umgang mit irregulärer Migration spiegelt die tieferen Herausforderungen wider, vor denen die EU steht. Eine umfassende europäische Asylreform wird seit Jahren debattiert, doch konkrete Fortschritte sind bislang rar. Länder wie Deutschland und Polen fordern Lösungen, die sowohl die humanitären Verpflichtungen der EU berücksichtigen als auch die Herausforderungen der Grenzsicherung und der Verteilung von Asylsuchenden fair lösen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob und wie die EU in der Lage ist, diese Spannungen zu überwinden und eine nachhaltige Lösung zu finden.
Fazit: Die Grenzkontrollen, die nun in Deutschland ausgeweitet werden, sind nur ein Teil eines vielschichtigen europäischen Problems. Während Deutschland und andere Länder nach nationalen Lösungen suchen, bleibt die europäische Zusammenarbeit und die Kontrolle der Außengrenzen entscheidend, um die Herausforderungen der irregulären Migration in den Griff zu bekommen. Polens Ministerpräsident Tusk und andere EU-Politiker fordern weiterhin eine stärkere Konzentration auf die Sicherung der Außengrenzen, während nationale Regierungen wie die deutsche parallel strengere Maßnahmen auf nationaler Ebene einführen.