Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, betonte, dass "disruptive Politik" das Markenzeichen von Trump sei und daher eine enge Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA gefährden könnte. "Ein erneuter Präsident Donald Trump wird sicherlich herausfordernder für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik", äußerte Wadephul gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Europa müsse stärker und unabhängiger werden und müsse auf eine Trump-Administration vorbereitet sein, die sich noch stärker als bisher von internationalen Verpflichtungen zurückziehen könnte. Er bemängelte zudem, dass Deutschland sich bislang nur unzureichend auf eine mögliche Rückkehr Trumps ins Weiße Haus vorbereitet habe.
Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP warnte, dass weder Deutschland noch Europa angemessen auf die Konsequenzen eines Trump-Sieges vorbereitet seien. Sie betonte, dass auch eine demokratische Präsidentschaft unter Kamala Harris eine Neuausrichtung Europas in Sicherheitsfragen erfordern werde. "Europa ist nicht darauf vorbereitet, sondern hofft immer noch (...), dass (die demokratische Kandidatin Kamala) Harris gewinnt," so Strack-Zimmermann. In jedem Fall, ob Trump oder Harris, sei eine höhere finanzielle Investition in Verteidigung unumgänglich.
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth äußerte sich ebenfalls besorgt und betonte, dass Europa "mehr Verantwortung übernehmen" müsse, egal wie das Wahlergebnis ausfalle. Roth sieht insbesondere in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik erhebliche Herausforderungen und Kosten auf Deutschland zukommen. Auch er fordert, dass Europa und insbesondere Deutschland im Bereich der Verteidigungspolitik mehr Eigenständigkeit anstreben und die finanziellen Mittel entsprechend aufstocken müssen, um die Sicherheit und Stabilität in der Region zu gewährleisten.
Die Befürchtung eines erneut distanzierten Verhältnisses zwischen den USA und Europa unter einer möglichen Trump-Administration verstärkt den Handlungsdruck auf europäische Länder. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Ukraine, Osteuropa und der Westbalkan, wie Roth betonte. Hier müsse Europa klarstellen, dass diese Regionen vorrangig europäische Interessen betreffen, und sich dementsprechend intensiver um Sicherheit und Stabilität kümmern.
Auch in den USA selbst sind die Ängste vor Unruhen und manipulativen Wahlkampftaktiken präsent. Vor der Wahl betonten Wahlleiter und staatliche Verantwortliche, dass die Abstimmung sicher und regelkonform ablaufen werde. Sie machten aber auch darauf aufmerksam, dass die Auszählung, insbesondere der Briefwahlstimmen, zu Verzögerungen führen könnte. "Die Amerikaner können darauf vertrauen, dass die Wahl sicher ist und die Ergebnisse korrekt ausgezählt werden", versicherten zwei Verbände von Wahlaufsehern.
Die Wahl im Jahr 2020 ist vielen noch in Erinnerung: Damals hatte Trump falsche Anschuldigungen über Wahlbetrug erhoben und sich frühzeitig zum Sieger erklärt, obwohl die Auszählungen noch andauerten. Ein erneutes Szenario dieser Art könnte die Lage in den USA und die internationalen Beziehungen weiter belasten, falls Trump erneut seine Niederlage nicht anerkennen sollte.
In den letzten Tagen vor der Wahl fielen die Reden sowohl von Trump als auch von Harris scharf aus. Trump griff die demokratische Kandidatin Kamala Harris mehrfach persönlich an und bezeichnete sie als "linksradikale Verrückte". Auch andere prominente demokratische Politiker wie Joe Biden und Nancy Pelosi wurden zum Ziel seiner Beleidigungen. Seine Aussagen provozierten teils sexistische Reaktionen im Publikum, was von politischen Beobachtern als spaltende Wahlkampftaktik kritisiert wird.
Auf der anderen Seite mahnten Harris und ihre Unterstützer, darunter Prominente wie Oprah Winfrey und Lady Gaga, die Wähler, die erste Präsidentin der USA zu wählen und sich gegen eine erneute Wahl Trumps zu stellen. Winfrey äußerte, dass eine Wiederwahl Trumps möglicherweise die letzte Gelegenheit zur freien Stimmabgabe darstelle.
Ein Sieg Trumps würde voraussichtlich neue Unsicherheiten in der internationalen Politik verursachen. Trump könnte seine "America First"-Politik wieder aufnehmen und multilaterale Abkommen, die Europa und die USA verbinden, infrage stellen. Für die Europäische Union und Deutschland könnte dies eine Ära noch größerer Eigenverantwortung einläuten, insbesondere in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Die Notwendigkeit, eigene Sicherheitsstrukturen auszubauen und die Nato stärker mit eigenen Ressourcen zu unterstützen, wird zunehmend als Priorität gesehen.
Der "Trump-Effekt" könnte auch die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen beeinflussen, die unter seiner Präsidentschaft durch Protektionismus und Handelskonflikte geprägt waren. Analysten erwarten, dass ein erneuter Wahlsieg Trumps die Rolle Europas auf dem globalen Markt und in geopolitischen Verhandlungen weiter stärken könnte, indem Europa versucht, sich unabhängiger von den USA zu positionieren.
Zusammengefasst bleibt Europa in einer Position des Abwartens. Während es sich in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen immer stärker zu organisieren versucht, könnte ein Sieg Trumps letztlich den Druck erhöhen, auf eigene Beine zu kommen und eine stärkere, vereinte europäische Stimme in der Welt zu entwickeln. Ein Sieg Harris’ könnte jedoch ebenfalls eine stärkere Eigenverantwortung Europas erfordern, da auch eine demokratische Regierung voraussichtlich klare Ansagen in Bezug auf Verteidigung und Sicherheit in der europäischen Nachbarschaft machen wird.
Quelle: Der Spiegel, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, New York Times, Washington Post und Politico