Nun, das wird alles auseinandergerissen. Deutschland ist von derselben populistischen Welle erfasst, die viele seiner europäischen Nachbarn erfasst hat. Die rechtsextreme AfD ist in Meinungsumfragen auf dem Vormarsch und löst Panik im System aus. Eine politische Frage dominiert: Was tun gegen die AfD? Im Herbst 2024, 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik, könnten in den drei östlichen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen Wahlen stattfinden, bei denen die AfD triumphieren könnte.
Die Parteien haben im Umgang mit der AfD und anderen extremen Gruppen lange Zeit ein Tabu aufrechterhalten. Möglicherweise müssen sie von ihnen gestellte parlamentarische Fragen beantworten. Möglicherweise müssen sie mit ihnen in einem Ausschuss oder in einer Fernsehshow zusammensitzen. Sie würden sich jedoch weigern, Gesetzesvereinbarungen abzuschließen oder sich an Koalitionsverhandlungen zu beteiligen.
Jetzt bricht diese Brandmauer zusammen. In Bayern ist Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in einen Skandal verwickelt, in dem ihm vorgeworfen wird, er habe im Alter von 17 Jahren ein antisimitisches Flugblatt verfasst, in dem er sich über die Konzentrationslager lustig machte. Aiwanger von der gerade noch zugelassenen Freie Wähler weigerte sich, sich zu entschuldigen. Noch schockierender für die meisten war, dass seine Beliebtheitswerte stark anstiegen. Mit Blick auf die Wahlen in Bayern am 8. Oktober weigerte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der konservativen CSU, ihn zu entlassen. Im Juni wurde der AfD-Kandidat erstmals zum Kreistagsvorsitzenden der thüringischen Kleinstadt Sonneberg gewählt.
Kurz darauf verhalf die AfD im selben Bundesland der CDU zum Sieg bei einem Oppositionsantrag zur Steuersenkung. Inmitten landesweiter Aufregung sagte eine verlegene örtliche CDU-Führung, die Unterstützung der AfD sei nicht gesucht worden und sei Zufall.
Thüringen ist zwar ein Sonderfall, doch das Problem wird bundesweit immer dringlicher. Die AfD könnte im Osten so dominant werden, dass drei, möglicherweise alle vier anderen Parteien ihre Kräfte bündeln müssten, um sie aus der Regierung herauszuhalten. Die CDU sagt, die Brandmauer werde bestehen bleiben, komme, was wolle, aber einige sind misstrauisch gegenüber ihren Absichten. Und wenn ständig über die AfD geredet wird, ist das genau das, was sie will: den Eindruck zu erwecken, dass die anderen sich gegen sie verbünden. Die "authentische" Stimme "echter Menschen" gegenüber der amorphen Elite.
In dieser fieberhaften Atmosphäre blickt die AfD auch einem weiteren extremen Herausforderer über die Schulter. Sahra Wagenknecht, Abgeordnete der Linkspartei und ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei und ihrer Nachfolgegruppen nach der Wende. Sie hat sich mühelos in eine Covid-skeptische, einwanderungsbesessene Stimme verwandelt, die linksextreme Wirtschaftsthemen mit rechtsextremer Identitäts- und Sozialpolitik verbindet. Es wird erwartet, dass Wagenknecht ihre (noch namenlose) Partei pünktlich zu den Europawahlen gründen wird. Sie könnte die Wählerstimmen der AfD spalten, gleichzeitig aber noch mehr Menschen in die populistisch-nativistische Gruppe bringen.
Auch innerhalb der etablierten Parteien übt die AfD Einfluss aus. Die Positionen zur Einwanderung haben sich bereits verschärft. Sie hat Widerstand gegen die jüngsten Klimagesetze mobilisiert und untergräbt die Unterstützung für Militärhilfe für die Ukraine. Deutschlands Verbündete schauen mit Sorge zu, doch nur wenige europäische Länder widersetzen sich dem Trend. In 15 der 27 EU-Staaten liegt die Unterstützung für die extreme Rechte derzeit bei über 20 %. Die Kritiker Deutschlands übersehen, dass in seinem Verhältniswahlrecht, in dem Parteien aller Weltanschauungen offen agieren, die Grenzen zwischen Rechts und Rechtsextrem klar gezogen sind. Die deutsche Brandmauer ist zwar bedroht, hält aber immer noch.
Ein wenig bekanntes Beispiel im Herzen Europas spricht Bände. Im Europarat, einem Gremium, das Winston Churchill zur Verteidigung der Demokratie mitgegründet hat und dem das Vereinigte Königreich immer noch angehört, besteht die Fraktion der Europäischen Konservativen aus der italienischen Lega, der österreichischen Freiheitspartei, der ungarischen Fidesz, der spanischen Vox und der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit, die AfD – und die Tories. Möglicherweise knackt die Brandmauer in Deutschland. Man könnte argumentieren, dass es in den USA, Großbritannien und anderswo bereits abgebaut wurde.
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