Am Sonntag wird in Thüringen und Sachsen gewählt, und die politische Stimmung hat sich in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt. Bundeskanzler Olaf Scholz wurde bei einer Wahlkampfkundgebung in Jena mit Zwischenrufen wie "Lügner" und "Volksverräter" konfrontiert, Begriffe, die an die Rhetorik des Nationalsozialismus erinnern und die tiefe gesellschaftliche Spaltung widerspiegeln. Die regierende Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP steht in Thüringen vor einem Debakel und könnte sogar den Wiedereinzug in den Landtag verpassen, während die AfD in den Umfragen führt. In Sachsen liefern sich die AfD und die CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Ein jüngster Messerangriff, bei dem ein syrischer Asylbewerber in Solingen drei Menschen getötet haben soll, hat eine heftige Debatte über die deutsche Migrationspolitik entfacht und den Wahlkampf weiter polarisiert. In einer schnellen Reaktion kündigten die Minister verschärfte Gesetze zur Bekämpfung von Asyl und Messerkriminalität an, doch die allgemeine Unzufriedenheit, insbesondere bei AfD-Anhängern, geht weit über das Thema Migration hinaus. Es gibt großen Unmut über Umweltpolitik, staatliche Einmischung und Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg. Besonders in Ostdeutschland mischt sich diese Wut mit einem tief verwurzelten Gefühl der Benachteiligung seit der Wiedervereinigung.
In den Straßen und Dörfern der ehemaligen DDR herrscht eine tiefe Frustration. Für viele Menschen hat sich das Gefühl, "von oben herab betrachtet" zu werden, mit wirtschaftlichen Sorgen vermischt. Constantin, ein 16-jähriger angehender Automechaniker, der mit seinem ostdeutschen Moped unterwegs ist, bringt es auf den Punkt: "Wir geraten in Vergessenheit." Seine Haltung spiegelt eine weit verbreitete Unterstützung für die AfD unter jungen Menschen wider, die die Extremismusvorwürfe gegen die Partei als ungerechtfertigt zurückweisen.
In Thüringen wird die AfD vom als rechtsextremistisch eingestuften Landesvorsitzenden Björn Höcke angeführt, der kürzlich wegen der Verwendung eines Nazi-Slogans zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Die Partei wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, doch ihre Anhänger sind überzeugt, dass sie von Medien und staatlichen Institutionen ungerecht behandelt wird. Vivien Rottstedt, eine 31-jährige AfD-Kandidatin in Thüringen, sieht die Einschränkungen während der Corona-Pandemie und die vermeintliche "politische Korrektheit" als Gründe für das wachsende Misstrauen gegenüber dem Staat.
Auch das neu gegründete Sahra Wagenknecht-Bündnis (BSW) mischt die politische Landschaft auf und hat sich in den Umfragen in Thüringen auf den dritten Platz vorgearbeitet. Wagenknecht, eine ehemalige Kommunistin, hat es geschafft, kulturellen Konservatismus mit wirtschaftlich linken Positionen zu verbinden. Doch die AfD scheint die besten Chancen zu haben, die meisten Stimmen zu erringen – auch in den benachbarten Bundesländern Sachsen und Brandenburg.
Obwohl ein Erfolg der AfD Schockwellen durch das politische System senden würde, ist eine Regierungsbeteiligung unwahrscheinlich. Die etablierten Parteien planen, eine "Firewall" gegen die extreme Rechte zu bilden. Dennoch könnte das Wahlergebnis die ohnehin kriselnde Koalition von Bundeskanzler Scholz weiter destabilisieren und die CDU unter Friedrich Merz näher an die Macht bringen. Die Frage, ob es überhaupt zu einer stabilen Regierungsbildung kommt, bleibt ungewiss. Neue Koalitionen oder gar eine Unregierbarkeit sind mögliche Szenarien.
Die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind ein Lackmustest für die politische Stimmung, ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl. Sie werden zeigen, ob die etablierten Parteien den Aufstieg der AfD stoppen können oder ob sich ein nachhaltiger Rechtsruck abzeichnet. Für die Bundesregierung wird es darauf ankommen, wie sie mit den zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen umgeht – und ob sie den Wählern ein glaubwürdiges Gegenmodell zur extremen Rechten bieten kann.
Quellen: Reuters, dpa, Spiegel, Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau, BBC