Laut Statistischem Bundesamt waren zum Stichtag 31. Dezember 2022 7799 Menschen mit Staatsangehörigkeit palästinensische Gebiete in Deutschland gemeldet, rund 560 davon in der Hauptstadt. Medienberichten zufolge liegt die Zahl aber weit höher.
Demnach leben bundesweit geschätzt 175.000 bis 225.000 Menschen aus Palästina, allein in Berlin mit 35.000 bis 45.000 etwa ein Fünftel davon. Palästina wird von den Vereinten Nationen nicht als Staat anerkannt. Das führt zu dem Problem, dass eine Zählung der hierzulande lebenden Palästinenser schwierig ist. Viele von ihnen gelten entweder als staatenlos oder besitzen die Nationalität eines anderen arabischen Landes, in das sie zuvor geflüchtet sind, etwa des Libanon, Jordanien oder Ägypten.
Nach der Gründung des Staates Israel 1948 und dem ersten Nahostkrieg kam es zur Flucht oder Vertreibung von rund 700.000 Palästinensern, zunächst in Nachbarländer wie den Libanon oder Syrien. Dort konnten sie sich und ihre Kinder aber vielfach nicht einbürgern lassen. Es folgten über die Jahrzehnte weitere Fluchtwellen.
Nach UN-Angaben beträgt die Zahl der registrierten Palästina-Flüchtlinge, die auch die Nachkommen einschließt, mittlerweile rund sechs Millionen. Viele davon leben heute in Lagern im Libanon und Syrien. Aber auch in den von Palästinensern kontrollierten Gebieten, dem Gazastreifen und dem Westjordanland, gibt es bis heute Flüchtlingslager. Wie viele Palästinenserinnen und Palästinenser staatenlos sind, lässt sich nicht genau beziffern. Die Staatenlosigkeit liegt vor, wenn Palästinenser weder als Staatsangehörige Palästinas noch ihrer arabischen Aufnahmeländer registriert sind, und sie wird von Generation zu Generation "weitervererbt". Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags gab 2018 an, dass mindestens fünf Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser in den umliegenden Ländern staatenlos sind sowie 1,4 Millionen im Gazastreifen und dem Westjordanland.
In Deutschland wiederum leben laut "Mediendienst Integration" derzeit 124.500 Menschen ohne Staatsangehörigkeit. Viele von ihnen seien Palästinenser und Kurden, die zwischen 2014 und 2016 wegen des Bürgerkrieges in Syrien von dort oder aus dem Libanon hierhergekommen seien. Rund 37.500 der Staatenlosen in Deutschland kamen demnach in Syrien zur Welt, mehr als 6300 im Libanon.
Ein Großteil der in Berlin lebenden Palästinenser etwa ist aus dem Libanon nach Deutschland gekommen, nachdem dort Mitte der 1970er-Jahre der Bürgerkrieg zu heftigen Angriffen auf palästinensische Flüchtlingslager geführt hatte. Viele der jüngeren Palästinenser in Deutschland sind also bereits Einwanderer in vierter Generation: Die Urgroßeltern flüchteten 1948 nach der Staatsgründung Israels, die Großeltern dann mit den Eltern als kleine Kinder weiter nach Deutschland, wo die heute jungen Palästinenser geboren und aufgewachsen sind.
Angesichts der propalästinensischen Kundgebungen und teilweise der Feiern des Terrors der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas, die von Israel, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, stellt sich die Frage, wie viele der nun protestierenden und in Deutschland lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser auch die Hamas unterstützen. Laut Schätzungen des Bundesverfassungsschutzes in Deutschland gibt es hierzulande rund 450 Anhänger der Terrororganisation, von denen viele deutsche Staatsbürger sind.
"Ihre Aktivitäten in Deutschland reichen von Sympathiebekundungen und Propagandaaktivitäten bis hin zu Finanzierungs- oder Spendensammelaktivitäten. Damit sollen die Kernorganisationen im Ausland gestärkt werden", heißt es zu den Hamas im Verfassungsschutzbericht 2022. Wie genau die Aktivitäten differenziert werden, wird daraus nicht deutlich. Sympathiebekundungen für die Angriffe auf Israel dürfte es in diesen Tagen wohl von mehr als den genannten 450 Personen geben, was sie aber nicht zu direkten Hamas-Anhängern macht.
Die Hamas-Mitglieder und -Anhänger in Deutschland hätten laut Verfassungsschutz vorrangig zwei Ziele: die Hamas über Spendensammlungen zu unterstützen und den politischen und gesellschaftlichen Diskurs propalästinensisch im Sinne der Hamas zu beeinflussen. Weiter heißt es in dem Bericht: "Westliche Staaten wie Deutschland werden von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten."
Die direkten Hamas-Anhänger in Deutschland machen offenbar also nur einen relativ kleinen Anteil der hier lebenden Palästinenser und Palästinenserinnen aus. "Man darf nicht vergessen, dass der größte Teil der Bevölkerung in Gaza nicht wirklich zu Hamas und ihren Gewalttaten steht", sagt auch Wissenschaftlerin Katharina Galor. Sie hat ein Buch über das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern in Berlin geschrieben. "Die Hamas-Unterstützer, die hier jetzt protestieren, sind beängstigend, aber sie sind nicht in der Mehrheit."
Dass zurzeit gefühlt fast nur extreme Palästinenser zu hören seien, liege auch daran, dass viele andere schwiegen: "Es gibt viele moderate, palästinensische Stimmen, die etwas sagen könnten. Aber sie haben Angst, dass sie dann etwa ihre Jobs verlieren, weil Solidarität mit den Menschen in Gaza schnell mit der Unterstützung der Hamas oder Antisemitismus gleichgesetzt wird. Also schweigen sie lieber." Viele der hierzulande lebenden Palästinenser seien aber ebenfalls verärgert über die Proteste, bei denen die Angriffe der Hamas gefeiert werden.
Berlin werde von den Palästinenser selbst "oft als das größte Geflüchtetenlager außerhalb des Nahen Ostens beschrieben", so die Wissenschaftlerin. Das liege unter anderem daran, dass die damalige DDR viele Geflüchtete aus Palästina aufgenommen habe. Auch die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach am Montag davon, dass die Hauptstadt eine sehr große "gewachsene palästinensische und arabische Community" habe. "Es gibt in Berlin Stadtteile, das ist auch richtig so, die eine große Community haben, die vielleicht größer ist als manche Stadt in Deutschland", so die Beamtin.
Gleichzeitig habe Berlin laut Wissenschaftlerin Galor "eine der größten israelischen Gemeinden außerhalb des Nahen Ostens". In der Hauptstadt treffen also diese zwei sehr großen Gemeinschaften aufeinander. Und lebten dort zumeist "Seite an Seite", so ihre Einschätzung. "Das gibt es in Deutschland wesentlich mehr als in Israel, wo es eine strikte Trennung gibt."