Verteidigungsminister Joav Galant sieht derweil den Kampfgeist der Islamisten nach mehr als vier Monaten Krieg gebrochen. "200 Terroristen ergaben sich im Nasser-Spital, Dutzende weitere im Amal-Spital", sagte Galant am Sonntag bei einer Besprechung mit Armeekommandeuren. "Das zeigt, dass die Hamas ihren Kampfgeist verloren hat." Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Zudem habe die aus Furcht vor den israelischen Sicherheitskräften abgetauchte Hamas-Führung unter Gaza-Chef Jihia al-Sinwar in ihren Verstecken den Kontakt zur Außenwelt verloren. "Die Gaza-Filiale der Hamas antwortet nicht", sagte Galant. "Es ist niemand mehr vor Ort übrig, mit dem man sprechen kann." Die Hamas-Führung im Ausland suche bereits nach Ersatz für Al-Sinwar. Über organisierte Streitkräfte verfüge die Miliz nur noch im mittleren Gazastreifen sowie in Rafah, dem südlichen Grenzort zu Ägypten.
In Rafah bereitet sich die israelische Armee auf ein Einrücken vor, um die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die israelische Regierung hat aber diesbezüglich noch keinen Einsatzbefehl erteilt. Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens ist höchst umstritten, weil sich dort auf engstem Raum 1,3 Millionen Palästinenser drängen, von denen die meisten vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets geflohen sind.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zu Gaza verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet und weitere 250 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.
Bislang kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen fast 29 000 Palästinenser bei israelischen Angriffen und Kämpfen ums Leben. 68 880 weitere seien verletzt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Gesundheitsbehörde sprach am Sonntag von einer dramatischen Situation. Eine große Zahl von Verletzten könne wegen nicht funktionsfähiger Krankenhäusern und fehlender Medikamente nicht behandelt werdet. Tausende Verwundete müssten in andere Länder gebracht werden, damit ihnen geholfen werden kann.
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje forderte die internationale Gemeinschaft zu einem Aufbauprogramm für das schwer zerstörte Küstengebiet auf. "Wir brauchen einen Marshallplan für den Gazastreifen", sagte Schtaje der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Dieser Plan müsse aus drei Komponenten bestehen: Nothilfe, Rekonstruktion und einer Wiederbelebung der Wirtschaft. "Wir wissen aus Satellitenaufnahmen, dass 45 Prozent des Gazastreifens zerstört sind. Das bedeutet 281 000 Wohneinheiten, die vollständig oder teilweise zerstört sind."
Eine Reparatur könne teils schon in Wochen oder Monaten möglich sein. "Das bedeutet, wir brauchen dafür viel Geld", führte Schtaje weiter aus. Mit den Vereinten Nationen laufe eine Untersuchung, wie man der größten Not begegnen könne. Der Regierungschef amtiert mit seiner Autonomiebehörde im Westjordanland und hat keine faktische Kontrolle über den bis zum Kriegsausbruch von der Hamas allein beherrschten Gazastreifen.
Die Hamas verdankt Geld, Waffen und Ausbildung ihrer Kämpfer zum großen Teil dem Iran. Seit dem 7. Oktober heizen auch andere, vom Iran unterstützte bewaffnete Gruppen die Spannungen in der weiteren Nahost-Region an. Die Schiiten-Miliz Hisbollah beschießt vom Südlibanon aus den Norden Israels, von wo 80 000 Bewohner ins Landesinnere in Sicherheit gebracht werden mussten. Schiitische Kampfverbände in Syrien und im Irak greifen vermehrt US-Stützpunkte an. Die Huthi im Jemen feuern Raketen auf Schiffe im Roten Meer ab. Die Formationen verstehen sich zusammen mit ihrem Förderer Iran als "Achse des Widerstands", die sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt hat.
Die USA und Großbritannien reagierten bislang mit Bombardierungen von Stützpunkten und Raketenstellungen der mit Teheran verbündeten Milizen, vermieden es aber, den Iran selbst anzugreifen. Eine weitere Eskalation an irgendeiner dieser Fronten, vor allem aber im Libanon, könnte - so die allgemein geteilte Befürchtung - einen Flächenbrand in Nahost auslösen.
Nach einem Bericht der "Washington Post" soll nun der Iran auf die Vermeidung eines solchen Szenarios dringen. Iranische Emissäre hätten zuletzt in diskreten Treffen mit Verbündeten in der Region diesen zur Mäßigung geraten, schrieb die Zeitung am Sonntag. "Der Iran unternimmt äußerste Anstrengungen, um eine Ausdehnung des Kriegs und eine unumkehrbare Eskalation zu verhindern", zitierte das Blatt einen nicht näher genannten irakischen Offiziellen mit Nähe zu einer proiranischen Miliz.
Auch im Libanon scheint Teheran seinem Verbündeten, dem Schiiten-Führer Hassan Nasrallah, davon abzuraten, die ultimative Konfrontation mit Israel zu suchen. Dort, so die "Washington Post", habe man sich auf das Narrativ verständigt, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht durch die Eröffnung einer neuen Kriegsfront aus seiner politischen Drucksituation zu helfen. Der Israeli sei derzeit "in die Ecke gedrängt", der Gaza-Krieg habe die sich abzeichnende Normalisierung des Verhältnisses zwischen Israel und Saudi-Arabien infrage gestellt, zitierte das Blatt ein Hisbollah-Mitglied. Ein Krieg im Libanon würde hingegen Netanjahu "zum Sieger machen".
Das iranische Zureden scheine Wirkung zu entfalten, so die US-Zeitung. Seit dem 4. Februar habe es keine Angriffe proiranischer Kräfte auf das US-Militär in Syrien und dem Irak mehr gegeben. Nasrallah im Libanon vermied es trotz aller Drohgebärden, Israel den Krieg zu erklären. Lediglich die Huthi im Jemen schießen noch auf Schiffe im Roten Meer.