Die 1969 in Jena geborene Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter trat 1989 in die SED ein. Als Mitglied der "Kommunistischen Plattform" in der PDS lobte sie anfangs noch die DDR rückblickend. Von 2015 bis 2019 war sie Co-Chefin der Bundestagsfraktion, aber oft uneins mit der Parteispitze. Aus gesundheitlichen Gründen gab Wagenknecht das Amt ab und übernahm wieder die Rolle der Kommentatorin von der Seitenlinie. 2021 schoss sie mit dem Buch "Die Selbstgerechten" gegen die von ihr so genannten "Lifestyle"-Linken. Das Buch ist ein Bestseller, bei öffentlichen Auftritten findet sie sehr viel Anklang.
"Sie war von Beginn an auch eine Marke", schrieb der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jetzt macht sie sich mit ihrem politischen Markenkern selbstständig. Der Zeitschrift "Emma" sagte Wagenknecht: "Ich würde auch gerne eines Tages sagen können: Ich habe politisch dieses und jenes real bewirkt. Bisher war ich ja immer in der Opposition. Real Macht zu haben und etwas umsetzen zu können, das ist natürlich etwas ganz anderes." Unklar ist, welche Partner sie bei anderen Parteien fände, deren Politik sie pauschal ablehnt.
Anders als die Linke fordert Wagenknecht eine Begrenzung der Zahl von Geflüchteten und den Import billiger fossiler Energie wie Erdgas aus Russland. Die Russland-Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs lehnt sie ab ebenso wie Waffenlieferungen an die Ukraine. Während die Linke den Kampf gegen den Klimawandel beschleunigen will, kritisiert Wagenknecht, Wärmepumpe und E-Auto seien nur etwas für Besserverdienende. Der Linken-Politiker Gregor Gysi beschreibt ihre Positionen so: "Sie will mischen: Sozialpolitik wie die Linke, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Flüchtlingspolitik wie die AfD." Sie selbst sagt: "Viele fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten und wählen aus Verzweiflung AfD. Ich fände es gut, wenn diese Menschen wieder eine seriöse Adresse hätten." Ein konkretes Programm hat sie noch nicht vorgelegt.
Zur Präsentation bei einer Pressekonferenz in Berlin an diesem Montag sind neben Wagenknecht einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter angekündigt: Auf dem Podium sollen die bisherige Co-Vorsitzende der Linksfraktion Amira Mohamed Ali, Wagenknechts Vertrauter und Fraktionskollege Christian Leye, der ehemalige Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön, und der Unternehmer Ralph Suikat Platz nehmen. In der Bundestagsfraktion der Linken zählen zudem die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen und Jessica Tatti zu ihrem Umfeld. Wie viele Mitglieder der Linken in eine neue Wagenknecht-Partei wechseln würden, ist unklar. Eine Mehrheit in der Partei trägt ihre Positionen nicht mit.
Viele in der Linken erwarten die eigentliche Parteigründung erst Anfang 2024, weil dies für die staatlichen finanziellen Zuschüsse günstiger sei. Vorher soll das "Bündnis Sahra Wagenknecht" Vorarbeit leisten und Spenden sammeln. Der Verein "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit" wurde bereits von Vertrauten Wagenknechts registriert. Die Satzung stellt klar, der Verein strebe "nicht an, an staatlichen Wahlen mit eigenen Bewerbern teilzunehmen". Er könne aber "die Tätigkeit bestehender politischer Parteien oder die Gründung politischer Parteien unterstützen".
Das Bundesinnenministerium schreibt dazu: "Eine Partei kann grundsätzlich auf zweierlei Weise entstehen, nämlich durch Gründung oder durch Umwandlung einer bereits bestehenden Vereinigung in eine Partei." Bei einer Gründung müsse sie neben einer Satzung auch ein Programm beschließen. Parteien sind mehr als ein Verein oder eine Bürgerinitiative, das Grundgesetz schreibt ihnen eine besondere Rolle "bei der politischen Willensbildung des Volkes" zu. Weil die Verfassung sie wichtig findet, erhalten sie staatliche Unterstützung - wenn sie bei Wahlen ein Mindestmaß an Erfolg haben. Dann erhalten sie für jede Stimme jährlich 83 Cent, dazu 45 Cent für jeden Euro aus Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträgen oder Spenden.
Die Linke erzielte bei der Bundestagswahl 2021 nur 4,9 Prozent der Stimmen und drei Direktmandate. Derzeit hat sie 38 Abgeordnete. Treten Wagenknecht und Co. aus, kann sie nicht mehr als Fraktion, sondern nur noch als Gruppe weitermachen. Auch die jüngsten Landtagswahlergebnisse fielen mit 2 bis 3 Prozent sehr schwach aus. Die Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler hoffen auf ein "Comeback", wenn der Richtungsstreit mit Wagenknecht endlich vorbei ist. Allerdings könnte die neue Partei der Linken auch Stimmen wegnehmen.
Einer neuen Umfrage des Instituts Insa für die "Bild am Sonntag" zufolge könnten sich 27 Prozent der Menschen in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Ob sie das Potenzial wirklich ausschöpft, hängt wohl vom tatsächlichen Programm ab und davon, ob sich die Partei wirklich bundesweit etablieren und organisieren kann. Klar ist die auch von Wagenknecht formulierte Konkurrenz zur AfD. Diese vertritt ähnliche Positionen bei Migration oder bei der Kritik an Russland-Sanktionen. In der Sozial-, Steuer- und Europapolitik unterscheiden sich die Ziele.