Beim politischen Aschermittwoch im baden-württembergischen Schorndorf behinderten Störer diese Woche die Abreise der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und riefen "Hau ab!". In Biberach wurde eine geplante Veranstaltung mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und anderen prominenten Grünen kurzfristig wegen Sicherheitsbedenken abgesagt, nachdem eine Demonstration aus dem Ruder gelaufen und ein Misthaufen vor die Treppen zur Stadthalle gekippt worden war. Im vergangenen Jahr warf ein Mann bei einer Wahlkampfkundgebung in Neu-Ulm einen Stein auf das bayerische Grünen-Spitzenduo Ludwig Hartmann und Katharina Schulze.
Während es in den Jahren 2019 bis 2021 die AfD war, deren Parteieinrichtungen am häufigsten Ziel von Angriffen wurden, hat sich das Bild seit dem Regierungswechsel gedreht. Laut einer Statistik der Bundesregierung galten 2022 die meisten Angriffe Einrichtungen der Grünen, gefolgt von denen der AfD. Nach vorläufigen Zahlen gab es 2023 bundesweit 224 Angriffe auf Einrichtungen der Grünen. Gebäude und andere Einrichtungen von AfD und SPD wurden im vergangenen Jahr in jeweils 115 Fällen zur Zielscheibe.
"Die Grünen sind eine stark milieugebundene Partei, und noch stärker werden sie als eine solche wahrgenommen und beschrieben", sagt Robert Vehrkamp, der sich bei der Bertelsmann Stiftung mit Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt beschäftigt. Ihre Kernwählerschaft sei relativ stabil, ihre Anhänger vor allem Menschen, "die einer ökologischen und kulturellen Modernisierung positiv gegenüberstehen".
Gleichzeitig zeigten Untersuchungen der Stiftung, dass die Grünen in einigen Milieus der Gesellschaft stark polarisieren. Betrieben werde diese Polarisierung vor allem von der AfD, aber auch von Teilen der Freien Wähler, der Union und der FDP. Die zunehmenden Verbalattacken einiger Politiker gegen die Grünen befeuerten diese Polarisierung. Zudem seien die Grünen mit ihren Themen und Personen momentan sehr stark öffentlich präsent.
"Die Grünen besetzen in der Regierung viele unbequeme Themen wie die Klimakrise, vor denen manche lieber die Augen verschließen würden" glaubt Elmar Brähler, der gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern regelmäßig Studien zu autoritären Einstellungen und Unzufriedenheit mit der Demokratie veröffentlicht. Als Reizthema identifiziert er zudem die von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock propagierte "feministische Außenpolitik", die nun von einigen ins Lächerliche gezogen werde.
"Anders als in zurückliegenden Jahrzehnten, wo der Graben zwischen rechts und links stehenden Parteien verlief, sehen wir jetzt eher eine starke Polarisierung zwischen Städtern und Menschen im ländlichen Raum sowie zwischen gebildeten und weniger gebildeten Menschen", sagt Brähler. Verstärkt werde diese Polarisierung dadurch, dass die AfD sowie Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger die Grünen als "abgehobene Akademiker" darstellten. Ein Image, gegen das sich das Spitzenpersonal der Grünen nach Kräften zur Wehr setzt.
Anstatt sich lauthals zu empören über den bösen Empfang, der ihm und seinen Parteikollegen in Biberach bereitet wird, bemüht sich Agrarminister Özdemir nach den Tumulten um Gelassenheit und beschwichtigt: "Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben."
War in den ersten Jahren nach Gründung der AfD noch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Haupt-Feindbild der AfD, so sind es mittlerweile Politikerinnen und Politiker der Grünen wie Ricarda Lang oder Robert Habeck. Das Narrativ, das die Rechtspopulisten verbreiten, lautet grob zusammengefasst: Die Grünen, das seien Ideologen, die keinen richtigen Beruf erlernt hätten und jetzt das Land herunterwirtschafteten.
Dass dieses Narrativ bei manchen verfängt, wundert Brähler, der sich fragt, wie die "schlechten Verkehrsminister aus den Reihen der Union" so schnell in Vergessenheit geraten konnten.