Die schlechten Konjunkturaussichten seien nun ein "Weckruf": "Und jetzt haben wir eine gute Tasse Kaffee, das heißt, Strukturreformen, und dann werden wir wirtschaftlich weiter erfolgreich sein." Lindner sagte, Deutschland stehe "am Beginn einer Ära neuer Strukturreformen", nannte jedoch keine Einzelheiten. Deutschland wurde Ende der 1990er Jahre als "kranker Mann Europas" bezeichnet, als die Wirtschaft ins Stocken geriet und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss. Mit einer Reihe von Arbeitsmarktreformen legte Deutschland diesen Spitznamen ab und erlebte im Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise 2008 einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Die historische Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas erwies sich im Jahr 2022 als seine Achillesferse. Die europäischen Energiepreise stiegen bereits, als die russische Invasion in der Ukraine Anfang des Jahres sie auf Rekordhöhen trieb. Moskau drosselte daraufhin die Gaslieferungen. Die Energiekrise hat weite Teile der deutschen Industrie lahmgelegt. Seitdem sind die Erdgaspreise gesunken und die Bundesregierung hat neue Gaslieferanten als Ersatz für Russland gefunden, doch die Krise hat lange Schatten hinterlassen.
"Wir mussten in den letzten 18 Monaten die deutsche Energieinfrastruktur und -versorgung neu erfinden … unsere Wirtschaft hat sich als widerstandsfähig erwiesen", sagte Lindner. Nun müsse Deutschland seine "Hausaufgaben" machen - im Übrigen wie andere "mit ähnlichen Herausforderungen auch", fügte der Finanzminister an.
Der Rückgang in Europas größter Volkswirtschaft im vergangenen Jahr war der erste seit Beginn der Covid-19-Pandemie. Offizielle Daten zeigten am Montag, dass Deutschland einer Rezession nur knapp entkommen konnte, aber seine Schwäche erhöht das Risiko eines wirtschaftlichen Abschwungs im gesamten Euroraum. Nach jüngsten Prognosen der Europäischen Kommission sind im EU-Schnitt 0,6 Prozent Wachstum für 2023 zu erwarten.
Länder wie Frankreich und Spanien verzeichneten einen stärkeren Anstieg der Wirtschaftsleistung, während sie in Deutschland um 0,3 Prozent abnahm. Das Statistische Bundesamt führte den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts auf "mehrere Krisen" zurück, darunter historisch hohe Inflationsraten, hohe Zinsen und eine schwache In- und Auslandsnachfrage nach deutschen Gütern.
Während die Automobilproduktion des Landes im vergangenen Jahr Zuwächse verzeichneten, sank die Produktion in der energieintensiven Chemie- und Metallindustrie. Insgesamt schrumpfte die Industrieproduktion – dominiert vom verarbeitenden Gewerbe – um 2 %. Die wirtschaftlichen Probleme Chinas lasten auch auf Deutschland, und es droht noch ein weiteres großes Risiko: die Schifffahrtskrise im Roten Meer. Tesla hat bereits erklärt, dass es sein Berliner Werk in Grünheide ab dem 29. Januar wegen verspäteter Teilelieferungen zwei Wochen lang stilllegen wird.