Die größten Engpässe verzeichnet Nordrhein-Westfalen mit 6715 unbesetzten Vollzeitstellen. Niedersachsen schließt mit 1760 fehlenden Lehrern an, gefolgt von Berlin mit 1400 prognostizierten frei bleibenden Positionen. Auch die ostdeutschen Bundesländer dokumentieren einen hohen Mangel: In Sachsen sind 1200 Stellen im laufenden Schuljahr offen, Thüringen braucht 800 zusätzliche Kräfte und Sachsen-Anhalt hat 570 Lehrer zu wenig. Keinen Mangel gibt es dagegen in Bayern und dem Saarland, die Länder beklagen keine offenen Stellen. Einen geringen Bedarf im Bundesdurchschnitt verzeichnet Schleswig-Holstein, das Land sucht noch 133 Lehrer. Bremen hat einen Bedarf von 86 Fachkräften, Mecklenburg-Vorpommern kann 157 Stellen nicht besetzen. In Rheinland-Pfalz gibt es 170 Lehrer zu wenig.
Die neuen Zahlen zeigten schon eine große Lücke, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. Die Lage sei aber sogar noch schlimmer: "Dort, wo wegen des Lehrkräftemangels bereits die Stundentafel gekürzt oder Förderangebote reduziert wurden, tauchen erst gar keine freien Stellen auf." Besorgt schaut die GEW in die Zukunft: "Es ist zu befürchten, dass sich die Lage noch weiter zuspitzt, weil Jahr für Jahr weniger Lehramtsabsolventinnen sowie -absolventen die Unis verlassen und viele junge Menschen trotz Lehramtsabschluss den Lehrerberuf nicht anstreben – während der Einstellungsbedarf weiter bestehen bleibt. Die Lücke wird also immer größer", so Finnern.
Der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, sieht Fehler in der Vergangenheit: "Es rächt sich, dass man in den guten Jahren viele Bewerbende nicht eingestellt hat, die sich andere Berufe gesucht haben, und beispielsweise in Berlin die Verbeamtung erst so spät wieder eingeführt hat."
Um mehr Personal in den Beruf zu bekommen, setzen die Bundesländer mit verschiedenen Maßnahmen an. Verkürzte Verfahren und herabgesetzte Anforderungen sollen die klaffenden Lücken füllen. Vielerorts kommt Hilfspersonal zum Einsatz, welches Lehrer entlasten soll. In Mecklenburg-Vorpommern heißen sie "Alltagshelfer", in Thüringen "Pädagogische Assistenzen". Gleichzeitig können Quereinsteiger in einigen Bundesländern mit einer berufsbegleitenden pädagogischen Einführung bereits unterrichten.
Lehrerverbandschef Düll warnt, dass zukünftige Lehrkräfte nicht ohne das entsprechende pädagogische und didaktische Werkzeug im Schulunterricht eingesetzt werden sollten, um Burn-out zu verhindern. "Personen ad hoc oder nur mit einem Wochenendkurs oder Ähnlichem unvorbereitet in den Unterricht zu schicken, ist weder gegenüber den Schülerinnen und Schülern noch den unterrichtenden Personen gegenüber fair." Der Verband begrüße dagegen eine Entlastung der Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams im Schulalltag.
Dieser ist durch den Lehrermangel vor allem von Unterrichtsausfällen bestimmt, welche sich wiederum unmittelbar auf die Bildungsqualität junger Menschen auswirken. Finner sagte dazu: "Den Mangel an qualifizierten Fachkräften gibt es schon länger, jetzt zeigen Studien die Auswirkungen." Die Gewerkschafterin berief sich dabei auf verschlechterte Ergebnisse der Schulleistungsstudien "Pisa" und "Iglu". Die Corona-Pandemie spiele zwar eine verstärkende Rolle, sei aber nicht Ursache der Entwicklung.
Daran hat laut der GEW-Vorsitzenden auch das Lebensumfeld der Kinder seinen Anteil: "Der enge Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialem Status ist evident." Kinder und Jugendliche, die keine starke Unterstützung durch das Elternhaus bekämen, seien stärker auf gut qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen angewiesen, die ausreichend Zeit und Ressourcen für sie haben, als Kinder aus reichen und bildungsnahen Elternhäusern.
Den Lehrkräftemangel zu bekämpfen und für mehr Chancengleichheit zu sorgen brauche eine gemeinsame Kraftanstrengung und koste Geld, sagte Finnern. Die Bundesländer und die Kultusministerkonferenz dürften sich nicht länger wegducken. Sie fügte hinzu: "Was hilft es der jungen Generation, wenn wir ihnen zwar keine Schulden hinterlassen, aber auch keine Bildung, kein Rüstzeug für die Zukunft?"
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