Die neue Partei um die ehemalige Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht hatte sich in der vergangenen Woche gegründet. Antreten will sie bereits bei der Europawahl im Juni und dann bei den drei Landtagswahlen im September in Ostdeutschland. Aber ist eine Partei von Wagenknecht wirklich das "Wundermittel" für die in einigen Bundesländern als "gesichert rechtsextrem" eingestufte AfD? Die Chancen scheinen gering, dass die Ikone der Linken die Wähler der Arbeiterklasse aus den Fängen der AfD retten wird, wenn man sich einmal als Beispiel die Niederlande betrachtet. Tatsächlich ist es wahrscheinlicher, dass sie und ihre neue Partei die rechtsextreme Agenda stärken werden.
Ein erster Programmentwurf übt nun fundamentale Kritik an der EU in jetziger Form und fordert einen Rückbau: "Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee", heißt es. Als Ziel wird formuliert: "Was lokal, regional oder nationalstaatlich besser und demokratischer regelbar ist, darf nicht der Regelungswut der EU-Technokratie überlassen werden." Es fordert darüber hinaus die unbefristete Nutzung von Verbrennermotoren und die Rückkehr zu Importen von Öl und Gas aus Russland. Zunächst hatte die "FAZ" über den Programmentwurf berichtet.
Gegebenenfalls solle sich Deutschland an EU-Regeln nicht halten: Das BSW trete "für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen". Das widerspräche dem Grundsatz, dass EU-Regeln für alle 27 Mitgliedsstaaten verbindlich sind. Sie werden von den Regierungen gemeinsam mit dem EU-Parlament ausgehandelt.
Im BSW-Programmentwurf heißt es weiter, der EU-Haushalt dürfe nicht weiter wachsen und die EU solle keine eigenen Einnahmen bekommen. Zudem sollten vorerst keine neuen Mitglieder dazukommen, auch nicht die Ukraine. Nötig sei "ein Moratorium für die EU-Erweiterung".
Andererseits plädiert der Entwurf für mehr Eigenständigkeit: "Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein." Europa dürfe auch "nicht länger eine digitale Kolonie der Vereinigten Staaten sein", sondern brauche eine eigenständige digitale Infrastruktur.
Weiter heißt es: "Der Krieg in der Ukraine ist ein blutiger Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland." Der Krieg sei zwar "militärisch von Russland begonnen (worden), aber er wäre vom Westen verhinderbar gewesen und hätte längst beendet werden können". Nötig seien ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. "Um Russland zur Aufnahme von Verhandlungen zu motivieren, sollte für diesen Fall der sofortige Stopp aller Rüstungsexporte in die Ukraine angeboten werden", so der Entwurf.
In der Migrationspolitik wiederholt der Entwurf die bekannte Position Wagenknechts: Asylverfahren an den EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten und Bekämpfung von Fluchtursachen. Angesichts der Tatsache, dass solche Themen weiterhin dominieren, wird Wagenknechts "Anti-Immigranten"-Diskurs das Mainstreaming rechtsextremer Diskussionsthemen nur stärken. In den meisten Fällen führt dies zu mehr und nicht zu weniger Wahlunterstützung für die extreme Rechte – wie bei den letzten Wahlen in den Niederlanden im November 2023.
Auch wenn die Wagenknecht-Partei im Jahr 2024 zweifellos gute Wahlergebnisse erzielen wird, ist es sehr zweifelhaft, ob sie das politische System mit ihrem Programm verändern wird. Zwar führte ihre Abspaltung von der Linken zur Auflösung als Bundestagsfraktion. Doch anstatt den Untergang der Linken tatsächlich herbeizuführen, schlug Wagenknecht einfach den letzten Nagel in ihren Sarg. Und statt "die Demokratie zu retten", wie sie geschworen hat, wird sie eher dazu beitragen, sie zu schwächen, indem sie rechtsextreme Narrative und Richtlinien weiter in den Mainstream einbezieht und normalisiert.
Deutschland steuert auf die erste zweijährige Rezession seit Anfang der 2000er Jahre zu, warnte das Bundesamt für Statistik. Die Ampel-Koalition ist zutiefst unpopulär, und es formiert sich breiter Widerstand gegen eine erwartete neue Runde der Sparpolitik. Sie erreicht in den Umfragen zusammen nur 28 %.
Wagenknecht hofft mit ihrem neuen Bündnis auf ein starkes Abschneiden bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst. In allen drei ostdeutschen Bundesländern wolle das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Kandidaten aufstellen, die auch eine "mögliche Regierungsbeteiligung" begleiten könnten, sagte die Ex-Linken-Politikerin Wagenknecht bei einer Talkrunde des Online-Portals "VierNull.de" in Düsseldorf. Das BSW müsse kompetente Fraktionen bilden könnten, "die im Zweifel eine regierende Partei tragen können". Besonders in Thüringen und Sachsen rechnet sich das BSW nach Angaben Wagenknechts Chancen aus.
Wagenknecht hofft darauf, AfD-Wähler zu gewinnen, die weder rechts noch rechtsradikal, sondern die "wütend, enttäuscht und politisch heimatlos" geworden seien. Auch SPD-Wähler sollten im BSW wieder eine "politische Adresse" bekommen. Das BSW hatte sich am Montag als Partei formiert. Die Bundestagsabgeordnete Wagenknecht wurde in einer Doppelspitze mit der früheren Chefin der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, zur Vorsitzenden gewählt.