Darüber hinaus habe das Gericht entschieden, dass das Existenzminimum in Deutschland zu jeder Zeit gesichert sein müsse, sagte Audretsch. "Diese Vorgaben sind Grundlage unserer Verhandlungen, darauf prüfen wir den Vorschlag der Bundesregierung nun im parlamentarischen Verfahren genau."
Das Bundeskabinett hatte am Montag grünes Licht für die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld gegeben. So sollen Jobcenter künftig Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen können, wenn die Betroffenen eine Arbeitsaufnahme nachhaltig verweigern. "Die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme muss tatsächlich und unmittelbar bestehen und willentlich verweigert werden", heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur im entsprechenden Entwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes.
Die Regierung beruft sich darauf, dass das Verfassungsgericht grundsätzlich auch einen kompletten Leistungsentzug als möglich erachtet hat, wenn ein Bürgergeld-Empfänger ohne wichtigen Grund ein konkret bestehendes und zumutbares Arbeitsangebot verweigert.
Sollte das Gesetz beschlossen werden, kommt nach Auffassung des Paritätischen Gesamtverbands eine Welle der Widersprüche auf Jobcenter zu. "Ich kann die Jobcenter nur warnen, von der Möglichkeit, das Bürgergeld komplett zu streichen, viel Gebrauch zu machen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Ulrich Schneider, der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Mittwoch). "Es wird Widersprüche hageln."
Wer beim Bürgergeld auf null gekürzt werde, habe nichts zu verlieren. "Dort, wo Arme mit Sanktionen belegt werden und sich allein kaum wehren können, werden die Sozialverbände bei der Formulierung des Widerspruchs helfen." Die Fälle würden auch vor Gericht ausgefochten – "notfalls geht es bis vors Bundesverfassungsgericht".
Der SPD-Politiker Ralf Stegner verteidigte die geplanten Sanktionsmöglichkeiten dagegen. "Die Menschen, die jeden Tag hart arbeiten und Steuern und Sozialabgaben zahlen, hätten kein Verständnis dafür, dass Bürgergeld-Empfänger, die nicht arbeiten wollen, keine Konsequenzen fürchten müssen", sagte er der "Rheinischen Post". Das Thema sei maßlos überschätzt, da die möglichen Sanktionen nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen beträfen. Die große Mehrheit der Bürgergeld-Bezieher halte sich an die Regeln und wolle arbeiten.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte hingegen höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Bürgergeldempfänger. "Eine der größten Ungerechtigkeiten unseres Sozialsystems ist die Tatsache, dass Leistungsempfänger, die sich etwas hinzuverdienen wollen, so gut wie nichts von ihrem erarbeiteten Geld behalten dürfen", sagte Dürr dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Er appellierte an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), "eine grundlegende Reform der Zuverdienstregeln auf den Weg zu bringen, um die Arbeitsanreize zu verbessern". Dies sei längst überfällig, sagte Dürr.
Zuletzt hatte die Union wiederholt kritisiert, dass sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer lohne. Forscher geben dem teils recht. Fehlanreize gibt es nach Angaben des Arbeitsmarktexperten Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg für Menschen, die eine bestehende Beschäftigung ausweiten und in einem größeren Haushalt leben.
Zu Beginn des Jahres waren die Bürgergeld-Sätze erhöht worden: Empfänger erhalten seitdem zwölf Prozent mehr als 2023. Für Alleinstehende bedeutet das ein Plus von 61 auf 563 Euro im Monat. Erwachsene, die mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben, bekommen 506 Euro.