"Seit meiner Stimmabgabe habe ich glaubhafte Todesdrohungen und eine Fülle von einschüchternden Anrufen erhalten", berichtete die Abgeordnete aus Iowa und setzte trotzig hinzu: "Ich werde vor Schlägertypen nicht einknicken." Die gelernte Augenärztin gehört zu den vergleichsweise moderateren Republikanern und Republikanerinnen in Washington. Bei der Abstimmung über den neuen Parlamentschef hatte sie am Dienstag im ersten Wahlgang trotzdem zunächst den rechten Hardliner Jim Jordan unterstützt, weil sie die Lähmung ihrer Fraktion beenden wollte. Als Jordan krachend durchfiel, verweigerte Miller-Meeks ihm im zweiten Wahlgang die Stimme. Nicht als einzige wurde sie daraufhin bedroht. Auch ihr Kollege Don Bacon berichtet von Pöbel-Anrufen: "Sie schikanieren unsere Familien."
Die an einen Mafia-Film erinnernden Szenen werfen ein grelles Schlaglicht auf eine beispiellose Hängepartie bei der Besetzung des wichtigen Vorsitzenden-Posten im Repräsentantenhaus, die komplett aus dem Ruder läuft. Ultrarechte und rechtsextreme innerparteiliche Aufständler hatten vor zwei Wochen den republikanischen Speaker Kevin McCarthy gestürzt, weil dieser einen Kompromiss mit den Demokraten für einen Übergangshaushalt geschlossen hatte. Seither ist das Parlament führungslos und damit handlungsunfähig.
Der von der Fraktion zunächst nominierte ultrakonservative, aber nicht Trump-hörige Steven Scalise musste seine Kandidatur mangels Unterstützung bald zurückziehen. Dann preschte der Hardliner Jim Jordan vor – ein strammer Trump-Verehrer, Wahlleugner und Biden-Hasser. Doch die Republikaner verfügen im Repräsentantenhaus nur über eine knappe Mehrheit von 221 zu 212 Sitzen, und Jordan ist selbst einigen Vertretern seiner weit nach rechts gerückten Fraktion zu extrem. Im ersten Wahlgang kassierte er 20 Gegenstimmen aus den eigenen Reihen und fiel durch. Im zweiten Wahlgang stieg die Zahl der Abweichler sogar auf 22.
Ursprünglich wollte der von Ex-Präsident Donald Trump unterstützte Ex-Ringer, der gerne demonstrativ angriffslustig ohne Sakko im Hemd auftritt, das Handtuch nicht werfen und sich am Donnerstag zum dritten Mal zur Wahl stellen. Doch kurz vor der erwarteten Abstimmung meldeten US-Medien überraschend, dass Jordan vorerst auf einen dritten Wahlgang verzichte. Stattdessen wollte er offenbar ein Manöver unterstützen, das ihm Zeit verschaffen und einen Übergangskandidaten an der Spitze des Parlaments installieren würde.
Bei der fieberhaften Suche nach einem Ausweg hatten einige republikanische Abgeordnete nämlich eine unorthodoxe Notlösung ins Gespräch gebracht. Sie sieht vor, dass der derzeitige Interimsvorsitzende des Repräsentantenhauses, Patrick McHenry, der eigentlich nur prozedurale Kompetenzen besitzt, bis zum Jahreswechsel mit zusätzlichen Vollmachten ausgestattet wird. Dann könnte das Parlament vorübergehend seine Arbeit aufnehmen und Gesetze beschließen.
Diesen Plan will Jordan nun unterstützen, ohne aber seine Kandidatur ganz zurückzuziehen. Er hofft offenbar, in den zwei Monaten Stimmen sammeln zu können und möchte dann im Januar erneut antreten. Das stieß vor einer Fraktionssitzung der Republikaner am Donnerstagnachmittag auf Widerstand von mehreren Seiten. Die Ultrarechten in der Fraktion lehnen eine Kompetenzausweitung für McHenry grundsätzlich ab. "Das verstößt gegen die Verfassung", wetterte schon am Mittwoch der texanische Hitzkopf Chip Roy. Die moderateren Kräfte wiederum haben bislang darauf bestanden, dass sich Jordan ganz aus dem Rennen zurückzieht.
Eine entsprechende Resolution könnte also nur mit Unterstützung der Demokraten beschlossen werden – ein im Zweiparteienparlament der USA ungewöhnlicher Vorgang. Die Demokraten wiederum dürften den Republikanern kaum ohne Gegenleistung aus der Patsche helfen. Sie könnten ihre Zustimmung etwa an einen Haushaltskompromiss und die Bewilligung neuer Ukraine-Hilfen knüpfen.
Ob der Vorstoß wirklich eine Chance hat, war am deutschen Donnerstagabend völlig offen. Einstweilen befinden sich der Kongress weiter in einem Zustand der Selbstblockade. Das US-Parlament ist lahmgelegt, während ein neuer Nahostkrieg ausbricht, die Ukraine um ihren Munitions-Nachschub fürchten muss und den USA Mitte November ein ungebremster Regierungsstillstand droht.