Zwar würden manche Menschen die Vorgänge als "Krieg" bezeichnen. "Wir Ungarn schreiben aber niemandem vor, mit welchen Worten er darüber zu reden hat", betonte Orban. "Wir sind froh, dass es kein Krieg ist." Über die Ukraine sagte er hingegen, diese befinde sich im Krieg. Orban, der seit langem gute Beziehungen zu Putin pflegt, hatte den Kremlchef im Oktober in Peking getroffen.
Zum Streit mit Brüssel über die weiterhin wegen Rechtsstaatsbedenken für Ungarn eingefrorenen 21 Milliarden Euro an EU-Fördermitteln äußerte sich Orban zweideutig. Einerseits wies er den Vorwurf zurück, dass er dieses Thema mit den Plänen der EU für weitere Ukraine-Hilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro verknüpfen wolle.
Andererseits betonte er, dass er strikt dagegen sei, diese Summe in den Siebenjahreshaushalt der EU einzubauen. Denn so bestehe die Gefahr, dass nichts mehr übrig bleibe für die Auszahlung der derzeit gesperrten Summen für Ungarn, behauptete Orban, obwohl dies nicht stimmt. Grundsätzlich aber sei er dafür, dass die Ukraine finanziell unterstützt werde, denn auch Budapest sei an der Existenz der Ukraine als Pufferstaat zwischen Ungarn und Russland interessiert.
Orban äußert sich in seiner Jahrespressekonferenz auch kritisch zu jüngsten Ereignissen in den USA und Polen und zum Umgang mit der AfD in Deutschland. Ein "Übel nagt an den westlichen Demokratien", sagte Orban am Donnerstag vor Journalisten in Budapest. Er bezog sich auf ein Gerichtsurteil zum Ausschluss von Ex-US-Präsident Donald Trump von den Präsidentschaftsvorwahlen im US-Bundesstaat Colorado, die Entlassung der Führungsriegen staatlicher Medien in Polen sowie die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.
"Wir sehen heute sonderbare Dinge, sagen wir in der westlichen demokratischen Welt", sagte der rechtsnationalistische Regierungschef. "Wir müssen aufmerksam sein, weil es eine große westliche Demokratie gibt, in der, wenn ich es richtig verstehe, sie einen Präsidentschaftskandidaten blockieren wollen, indem sie ihm rechtliche Hindernisse in den Weg legen", sagte Orban mit Verweis auf seinen Verbündeten Trump.
Der Oberste Gerichtshof von Colorado hatte am Dienstag in einer aufsehenerregenden Entscheidung geurteilt, wegen seiner Rolle bei der Kapitol-Erstürmung vom 6. Januar 2021 sei der Republikaner Trump disqualifiziert für das Präsidentenamt. Deswegen dürfe er auch nicht bei den Präsidentschaftsvorwahlen seiner Partei in Colorado teilnehmen.
"Ich sehe ein anderes Land, genauso wichtig, wo eine Partei mit einer beträchtlichen parlamentarischen Vertretung unter Beobachtung steht", sagte er in einer mutmaßlichen Anspielung auf die AfD. Mehrere Landesverbände der AfD wurden nach Beobachtung durch den Verfassungsschutz als gesichert rechts-extremistisch eingestuft.
"Und ich sehe ein drittes Land, wo die Kontrolle über das Fernsehen mit Polizeigewalt durchgesetzt wurde", sagte Orban. Er reagierte damit auf eine Frage nach der Absetzung aller Vorsitzenden und Vorstandsmitglieder des staatlichen Fernsehens, Radios sowie der Nachrichtenagentur PAP durch die neue pro-europäische Regierung in Polen. Die polnischen Staatsmedien galten jahrelang als Sprachrohre der rechtsnationalistischen Vorgängerregierung, die Orban nahe stand.
"Ein Übel nagt an der Organisation der westlichen Demokratien", sagte der ungarische Regierungschef. Ironisch fügte er hinzu: "Wenn all das in Ungarn geschehen würde, hätten vielleicht schon die Nato-Truppen interveniert", sagte Orban und kritisierte, es werde "mit zweierlei Maß gemessen". Mehrere unabhängige ungarische Medien waren von der Pressekonferenz ausgeschlossen worden.
Der seit 2010 regierende Orban liegt mit der EU-Kommission seit Jahren bei zahlreichen Themen über Kreuz, etwa bei der Migration, Rechtsstaatlichkeit und LGBTQ-Rechten. Im September 2022 sprach das Europaparlament Ungarn ab, noch eine "vollwertige Demokratie" zu sein. Neben grassierender Korruption wirft die EU dem Land gravierende Defizite bei den Grundrechten vor.