Seit Erdogan und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis vergangene Woche in Athen eine gemeinsame "Erklärung über freundschaftliche Beziehungen und gute Nachbarschaft" unterzeichneten, herrscht politisches Tauwetter in der Ägäis. Die Regierungschefs der beiden Nachbarstaaten, die seit Jahrzehnten über die Hoheitsrechte und Wirtschaftszonen in der Ägäis streiten, wollen sich künftig mindestens einmal im Jahr treffen. Schon im kommenden April will Mitsotakis nach Ankara reisen.
Aber es soll auch mehr Kontakte zwischen den beiden Völkern geben. Gemeinsame Sommercamps für Studierende aus beiden Ländern sind geplant. Und es wird Reiseerleichterungen geben. Die griechischen Ägäisinseln sind seit jeher ein beliebtes Ausflugsziel für türkische Urlauber. Bisher waren aber nur Tagesbesuche möglich. Wer länger bleiben wollte, musste als türkischer Staatsbürger ein Schengen-Visum beantragen. Die Bearbeitung der Anträge dauerte lange, viele wurden abgelehnt, und wer doch ein solches Visum bekam, musste dafür zwischen 120 und 200 Euro zahlen.
Jetzt vereinbarten beide Länder in Abstimmung mit der Europäischen Kommission ein vereinfachtes Visa-Verfahren für zehn griechische Ägäisinseln. Diese Touristen-Visa sollen bei der Ankunft auf den Inseln ausgestellt werden, etwa 50 bis 60 Euro kosten und einen Aufenthalt von bis zu sieben Tagen ermöglichen. Weiterreisen auf das griechische Festland oder in andere EU-Staaten sind damit allerdings nicht erlaubt. Die Regelung gilt für die Inseln Rhodos, Kos, Kalymnos, Leros, Kastelorizo, Symi, Chios, Lesbos, Limnos und Samos.
Sie liegen nah an der türkischen Küste. Von türkischen Ferienort Bodrum brauchen die Ausflugsschiffe nur etwa eine halbe Stunde bis zur griechischen Insel Kos. Die Überfahrt kostet umgerechnet rund 20 Euro. Von Marmaris nach Rhodos braucht das Boot etwa eine Stunde. Von Cesme ist man mit der Fähre in gut 20 Minuten auf der griechischen Insel Chios.
Im vergangenen Jahr kamen 541.000 türkische Besucher nach Griechenland. Ihr Anteil an den ausländischen Touristen lag damit nur bei knapp zwei Prozent. "Es gibt ein riesiges Potenzial", sagt Tolga Tekin vom türkischen Reiseveranstalter Jolly Tur, der Reisen zu den griechischen Inseln anbietet. In der Tourismusbranche erwartet man, dass sich die Besucherzahlen dank der Visa-Erleichterungen im nächsten Jahr verdoppeln werden. Konstantinos Moutzouris, Gouverneur der Region Nördliche Ägäis, hofft, dass sich damit der Tourismus auf den Inseln auch in den bisher besucherschwachen Wintermonaten belebt, etwa zu Weihnachten. "Mit der neuen Visa-Erleichterung geht ein Wunsch in Erfüllung, den wir seit Jahren bei der Regierung in Athen vorgetragen haben", sagt Moutzouris.
Auf den Inseln sind die türkischen Besucher gern gesehene Gäste. Beliebt sind türkische Touristen nicht zuletzt deshalb, weil sie im Durchschnitt pro Besuch etwa dreimal so viel ausgeben wie Touristen aus europäischen Ländern, so Gouverneur Moutzouris. Viele Restaurants auf den Inseln haben Speisekarten in türkischer Sprache. Aber das ist eigentlich gar nicht nötig. Köfte und Keftedes, Dolma und Dolmades: Was in beiden Ländern auf den Tisch kommt, ähnelt sich nicht nur, sondern heißt auch ähnlich. Wenn dann nach einem guten Essen der griechische Wirt den türkischen Gästen einen Raki spendiert, ist von der vielzitierten "Erbfeindschaft" der beiden Völker nichts mehr zu spüren.