Als Robert Habeck am 2. November in einem fast zehnminütigen Clip auf X (vormals Twitter) vier Wochen nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten Deutschlands Politik im Konflikt einordnend erklärte, wurde der Vizekanzler und Wirtschaftsminister wie ein Popstar gefeiert. Für Fabian Haun" Berater für Strategie und politische Kommunikation aus Berlin, war die Rede des Grünen-Politikers überfällig und hätte auch dem Kanzler ganz gut gestanden. "Gerade in Krisenzeiten ist Kommunikation viel wichtiger als in normalen Zeiten"" sagt Haun, dessen Beratungsgesellschaft Elfnullelf viele Politiker und Politikerinnen zu ihrer Klientel zählt.
"Krisenzeiten sorgen dafür" dass ein Gefühl der Unsicherheit und dann auch der Angst bei Menschen entsteht. In solchen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Perspektiven", erklärt Haun. Wobei man der Bundesregierung zugutehalten müsse" ,dass sie sich seit zwei Jahren mit Blick auf die Weltlage in einer Art Dauerkrisenmodus befindet", sagt der Kommunikationsexperte und weiter: "Da könnte man sich vom Kanzler an der einen oder anderen Stelle schon mal klare Worte oder ein deutliches Signal wünschen."
Wobei es laut Haun "vom Bundespresseamt schon genügend Erklärungsversuche und Presseberichte gibt. Im Vergleich zu seiner Vorgängerin Angela Merkel" die ja unter vergleichbaren Voraussetzungen in einer großen Koalition regierte, hat Scholz’ Kommunikation nur einen ganzen anderen Stellenwert." Man habe den Eindruck" das verpufft teilweise.
Laut dem Politikwissenschaftler hätten Merkels "sehr klare Aussagen kaum Interpretationsspielräume zugelassen". "Allein das "Wir schaffen das" inmitten der Flüchtlingskrise war eine Aussage, mit dem niemand gerechnet hat. Das ist in den Medien dann sofort ganz oben gelandet. Ihre Kurswechsel, erinnert sei hier als Beispiel die Rücknahme der erst verordneten "Osterruhe" im März 2021 inmitten der Pandemie, erklärte sie und nahm es mit dem Satz "Einzig und allein mein Fehler" auf ihre Kappe. "Das kommt an", erklärt der Medienexperte.
Scholz dagegen sei eigentlich nur einmal "offensiv" an die Öffentlichkeit gegangen, als er nach Russlands Überfall auf die Ukraine seine "Zeitenwende" erklärte, "da trat er als Galionsfigur auf" dafür gab es auch Lob – doch seitdem wartet man, dass der Kanzler die Leitlinien der großen Politik weiter absteckt. Wie viele habe ich mich auch gefragt, wieso überlässt Scholz das Erklären des Nahostkonfliktes jetzt Habeck?", kritisiert der Politikberater, "das hätte Merkel so nicht gemacht."
Dass Scholz zu Worthülsen und phrasenhaften Formulierungen neigt, die er mantraartig wiederholt, trug ihm einst als SPD-Generalsekretär die scherzhafte Bezeichnung "Scholzomat" ein. In der ARD-Doku "Loriot 100" vom 6. November anlässlich des 100. Geburtstags des Humoristen Vicco von Bülows (alias Loriot) sagte der Komiker Hape Kerkeling, Olaf Scholz erinnere ihn stets an Loriots Zeichentrickmännchen aus dem Sketch "Herren im Bad". "Unser Bundeskanzler sieht doch aus wie Herr Klöbner", meint der Comedian. "Das hätte Loriot noch erleben müssen, dass wir einen Bundeskanzler haben, der so aussieht wie diese Knollennasenmännchen. Man glaubt das alles nicht."
Vor allem der kontrollierte und streng formale Dialog dieser beiden Fremden, die sich durch eine Verwechslung nackt in einer Badewanne gegenübersitzen" kreierte geflügelte Worte wie "Sie lassen sofort die Ente zu Wasser", "Die Ente bleibt draußen" und "Aber ich kann länger", die man auch Scholz zutrauen würde.
Gefragt nach deutschen Politikern oder Politikerinnen, die überdurchschnittlich gut kommunizierten, nennt der Kommunikations-Experte Haun insbesondere einen: "Da fällt mir vor allem der ehemalige Außenminister Joschka Fischer ein. Der hat es geschafft, seiner Partei den Paradigmenwechsel eines erstmaligen deutschen Waffengangs im Jugoslawien-Krieg zu erklären – und hat das mit seinen Erfahrungen aus "nie wieder Auschwitz" begründet. Das war beeindruckend. Natürlich hat er in der Opposition und im Bundestag auch Dinge gesagt, die man nicht wiederholen sollte – doch das ist egal. Seine Sprache war deutlich, markant – und darauf kommt es an."
Auch Bundespräsident Roman Herzogs "Ruck-Rede" (1997: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen") oder Joachim Gaucks "Es ist (...) das beste, das demokratischste Deutschland" das wir jemals hatten" (2017) stehen im positiven Kontrast zum "sehr konzilianten" Auftreten des heutigen Staatsoberhaupts Frank-Walter Steinmeier.
Wobei für Haun auch eine Rolle spielt, dass gute Kommunikatoren "oft politische Quereinsteiger wie eben der ehemalige Taxifahrer Fischer" der Ex-Richter Herzog oder der Ex-Pfarrer Gauck sind. Da haben es jene, die klassische Parteikarrieren absolvieren und zudem heute im Umgang mit sozialen Medien sehr vorsichtig in Bezug auf ihre hinterlassenen Aussagen sein müssen, ungleich schwerer, sich die Fähigkeit zur deutlichen Aussprache zu bewahren."
"Scholz, der ja nach dem Prinzip verfährt, "Wer weniger kommuniziert, macht weniger falsch", ist ein klassisches Beispiel für diese politische "Generation Vorsicht"." Doch gesellschaftlich lauern hier große Gefahren. "Bei vielen Menschen führt diese "Schmalspurkommunikation" zu großer Verunsicherung, das spürt man im alltäglichen Straßengespräch. Eine Unsicherheit, die auch zum Erstarken der Populisten, die natürlich einfache Antworten haben und Klartext sprechen, beiträgt. Dagegen hilft eine mutige Kommunikation, die niemanden zurücklässt und die Leuten Orientierung gibt."