Am Sonntagabend wollte Verteidigungsminister Boris Pistorius in der litauischen Hauptstadt Vilnius eintreffen, um am Montag mit seinem Amtskollegen Arvydas Anusauskas einen Fahrplan ("Roadmap") für die Stationierung zu unterzeichnen. Deutschland trägt damit dem Sicherheitsbedürfnis Litauens nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Rechnung. Litauen und Deutschland werden sich in dem Papier verpflichten, die nötigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Aufstellung einer einsatzbereiten und kriegstüchtigen Brigade zu schaffen.
Nach Militärangaben geht es bei der Litauen-Brigade um die dauerhafte Verlegung von insgesamt rund 5000 Männern und Frauen, darunter 4800 Soldaten und 200 Zivilbeschäftigte. Zwei Kampftruppenbataillone aus Bayern und Nordrhein-Westfalen sollen nach früheren Angaben als Kern der neuen Litauen-Brigade an die Nato-Ostflanke verlegt werden. Drittes Bataillon wird der multinationale Nato-Gefechtsverband (eFP battle group) in Litauen, der schon unter Führung Deutschlands in dem baltischen Staat ist und rotierendes Personal hat. Pistorius hatte das Vorhaben als "Leuchtturmprojekt der Zeitenwende" bezeichnet.
Herr General Rupsys, die Bundeswehr will eine ständige Brigade in Ihrem Land stationieren. Was bedeutet das für Sie?
Die Antwort darauf hat drei Teile – die Nato betreffend, Litauen betreffend und die litauische Armee betreffend. Was die Nato angeht: Der Einsatz entspricht der Nato-Philosophie. Danach gehen die Soldaten dahin, wo sie gebraucht werden, wann sie gebraucht werden – und das in angemessener Stärke. Deutschland demonstriert hier eine außerordentliche Entschlusskraft und Führungsfähigkeit. Kein anderes Nato-Land leistet an der Ostflanke der Nato so viel. Es sendet eine Botschaft der Abschreckung, dass Europas stärkstes Land seine Mentalität ändert und in die eigene Sicherheit an der Ostgrenze der Allianz investiert. Für Litauen bedeutet die Stationierung einer permanenten Brigade Sicherheit, Abschreckung und Vertrauen in unser Land. Ein starker und zuverlässiger Partner, der auch wirtschaftlich führend ist, kommt, um unsere Sicherheit zu stärken.
Und was bedeutet die Stationierung für Ihre Armee?
Ich persönlich zolle der deutschen Arbeitsmoral höchsten Respekt. Wir haben mittlerweile eine gute und langanhaltende Kooperation mit unseren deutschen Partnern. Wir stehen in einem ständigen Austausch mit Generalinspekteur Carsten Breuer und den anderen Kommandeuren. Dabei erleben wir Effektivität – und dass gegebene Versprechen gehalten werden. Das führt zu Vertrauen, gegenseitigem Respekt und einer Atmosphäre der Verständigung.
Kann Deutschland für Litauen sein, was die USA im Kalten Krieg für Deutschland waren: eine Art Schutzmacht?
Wir wertschätzen die deutsche Rolle sehr. Darin zeigt sich ein starkes Zeichen der Unterstützung und der Solidarität. Allerdings fällt die Verteidigung Litauens in unsere eigene Verantwortung – der Armee, der Regierung und der Bürger. Das ist unsere Pflicht, unser Recht und auch unsere Ehre. Wenn wir Litauer unseren eigenen souveränen Staat haben, unsere demokratischen Freiheiten genießen sowie in Frieden und Wohlstand leben wollen, dann müssen wir unsere eigenen Fähigkeiten stärken und trainieren und in unsere eigene Verteidigung als gleichberechtigter Partner investieren.
Bisher ist nicht klar, ob sich überhaupt genügend deutsche Soldaten finden werden, die bereit sind, nach Litauen zu gehen. Was können Sie ihnen denn bieten?
Ich würde mir wünschen, dass sich die deutschen Soldaten irgendwann nicht mehr fragen, warum sie gekommen sind – sondern warum sie wieder gehen sollten. Von zu Hause wegzugehen ist immer schwierig, gerade für Soldaten und ihre Familien. Aber die Präsenz der Bundeswehr ist in unserem nationalen Interesse. Deshalb glaube, dass wir Litauer gute Übungsmöglichkeiten und gute Lebensbedingungen für die deutschen Soldaten bereithalten sollten, sodass sie sich in Litauen zu Hause fühlen.
Deutschland fragt nach Kindergärten, Schulen und Jobs für die Partnerinnen und Partner der Truppe. Ist das realistisch?
Das sind legitime Erwartungen und Bedürfnisse der Soldaten und ihrer Familien, wenn sie Deutschland verlassen. Die litauische Regierung hat beschlossen, eine Kommission einzusetzen, um die Ankunft der deutschen Brigade zu koordinieren und als Gastgeberland alle sozialen und sonstigen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich hoffe, wir werden an Ort und Stelle gemeinsam die notwendigen Entscheidungen treffen.
Und wann?
Ich möchte zunächst betonen, dass die deutsche Zusage zur Verteidigung Litauens feststeht. Das gilt auch für die Pläne zur Stationierung und Verteidigung Litauens im Falle eines Angriffs. Natürlich ist es in unserem eigenen Interesse, die deutschen Soldaten zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Litauen zu haben. Deshalb hoffe ich auf baldige Entscheidungen und Handlungen, sodass alles für die Ankunft der deutschen Soldaten vorbereitet ist.
Wie blicken denn die Litauer ganz generell auf die Deutschen? Lange Zeit galt unser Land ja in Osteuropa wegen der Nazi-Vergangenheit als verdächtig.
Wir betrachten Deutschland als guten Freund, treuen Nato-Verbündeten und europäischen Partner, mit dem uns enge politische, wirtschaftliche, kulturelle und militärische Beziehungen verbinden. Die Litauer stehen Deutschland sehr positiv gegenüber, und sie schätzen den deutschen Beitrag zur Sicherheit Litauens. Eine Umfrage im Auftrag der litauischen Armee vom November 2023 hat ergeben, dass 82 Prozent der Befragten die Stationierung einer ständigen deutschen Brigade begrüßen, 83 Prozent eine positive Haltung gegenüber den deutschen Soldaten haben und 76 Prozent glauben, dass die Stationierung der deutschen Brigade die Sicherheit Litauens deutlich erhöhen wird.
Die Debatte über die deutsche Unterstützung ist Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine. Und jetzt scheint die Ukraine zunehmend die Unterstützung zu verlieren, etwa die der USA, Ungarns, der Slowakei oder Bulgariens. Steigert das die Ängste auch in Ihrem Land – und damit die Erwartungen an Deutschland?
Wir hatten nie den geringsten Zweifel, wer unser Feind ist. Die litauische Armee war mehr oder weniger darauf trainiert, gegen Russland zu kämpfen. Wir machen uns keinerlei Illusionen über Russland und die Bedrohung, die von Russland ausgeht. Unser Ziel ist, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Und wir können als Mitglied der Nato und der EU nicht zulassen, dass Russland Demokratie und Freiheit zerstört. Wir sollten aber nicht über die Voraussetzungen spekulieren, unter denen Russland die Nato testet.
Litauen ist in jedem Fall nicht allein. Wir sind Teil der Nato. Wir haben das neue strategische Konzept, neue regionale Einsatzpläne und unsere Verbündeten hier. Wir verlassen uns auch auf unsere strategischen Partner, besonders auf Deutschland, das seine Bereitschaft dazu schon unter Beweis gestellt hat. Doch wir müssen auch unsere eigenen Hausaufgaben machen und in unsere eigene Sicherheit als gleichberechtigter Partner investieren.