Und wenn wir dazu eine konkrete Position haben, nachdem ich mich mit allen Fraktionen getroffen habe, werden wir die Position der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei festlegen." Genauer wurde er nicht.
Die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) ist die Partei, die Pedro Sánchez als Generalsekretär anführt, und für die war das Thema Amnestie eigentlich längst erledigt. Man könnte Schnellhefter mit Zitaten von PSOE-Politikern füllen, die den Gedanken an eine Amnestie in den vergangenen Jahren mit großer Ernsthaftigkeit von sich wiesen. Im April 2021 sagte die damalige Vizeregierungschefin Carmen Calvo in einer Aussprache des Senats, dass "die einzige mögliche Antwort" auf die Forderung nach einer Amnestie diese sei: "Das ist in einem demokratischen Verfassungsstaat nicht vorstellbar, denn das bedeutete, eine der drei Gewalten, nämlich die Judikative, aufzuheben." Calvo ist Juristin und Verfassungsrechtsexpertin.
Zwei Monate später gab ihr ein anderer PSOE-Jurist recht: eine Amnestie habe "keinen Platz in der Verfassung", sagte der damalige Justizminister Juan Carlos Campo in einem Fernsehgespräch. Heute ist Campo Verfassungsrichter. In einem anderen Fernsehinterview im November vergangenen Jahres nannte Sánchez selbst die von den Separatisten geforderte Amnestie "etwas, das diese Regierung natürlich nicht akzeptieren wird und das sicherlich nicht im Einklang mit dem Gesetz oder der spanischen Verfassung steht".
Heute ist alles anders. Heute braucht Pedro Sánchez die Stimmen von Junts per Catalunya, der Partei des ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, um zum spanischen Regierungschef wiedergewählt zu werden. Deren Stimmen bekommt er nur (sagt Puigdemont), wenn er sich auf eine Amnestie festlegt. Also haben die Sozialisten jetzt entdeckt, dass die spanische Verfassung etwas beweglicher ist, als ihre eigenen Fachleute bisher glaubten.
"Amnestie" hat einen guten Klang. Es klingt nach Großzügigkeit, nach Verzeihen und Versöhnung. Das Wort "wurde im 16. Jahrhundert aus griechisch amnēstía – Vergessen, Vergebung – entlehnt", schreibt der "Duden". Vergeben und vergessen, das wünscht sich jeder Missetäter. Doch die Grundidee des Strafrechts ist die gegenteilige: erinnern und bestrafen. Erinnern und bestrafen befördert das menschliche Zusammenleben. Es zeigt den Opfern von Straftaten, dass die Gesellschaft auf ihrer Seite steht, und gelegentlich funktioniert es auch als Abschreckung für potenzielle Täter.
Amnestien und andere Gnadenakte sind Fremdkörper in einem Rechtsstaat. Der Gesetzgeber (im Falle von Amnestien) oder die Regierung (im Falle von Begnadigungen) erlauben sich, einen oder mehrere Rechtsbrecher ihrer gerechten Strafe zu entziehen. Wenn Amnesty International schon im Namen Amnestie fordert, dann deshalb, weil die meisten Staaten dieser Welt keine gut funktionierenden Rechtsstaaten sind, weil Strafen also ungerecht sein können. Das ist auch die Überzeugung der katalanischen Separatisten: dass der spanische kein gut funktionierender Rechtsstaat sei und dass eine Amnestie deswegen überhaupt erst Gerechtigkeit schafft. Mit dieser Überzeugung stehen sie allerdings einsam da. Dass es spanische Juristen gibt, die der Idee einer Amnestie dennoch etwas abgewinnen können, hat andere Gründe.
"Ein Amnestiegesetz braucht eine politische Rechtfertigung", sagt Javier García Roca, Verfassungsrechtsexperte von der Madrider Universidad Complutense und beredter Verfechter einer Amnestie. "Die Beendigung eines seit 2006 andauernden, sehr intensiven Konflikts. Ich denke, das ist ein starkes Argument in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat: Frieden zu schaffen." Eben dies wird das Argument sein, das Sánchez und seine Unterstützer gebrauchen werden, um den Rest Spaniens von der Wohltat einer Amnestie für die katalanischen Separatisten zu überzeugen, wenn es denn so weit kommen sollte.
Doch dieses Argument behauptet, dass Katalonien noch nicht befriedet sei. Dafür gibt es zurzeit allerdings keine Anhaltspunkte. Zuletzt gab es vor vier Jahren Unruhen in der spanischen Nordostregion, als der Oberste Gerichtshof neun führende Separatisten wegen der Organisation des illegalen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 zu langen Haftstrafen verurteilte. Seitdem ist es ruhig, und der Rückhalt für die Separatisten geht langsam zurück. Pedro Sánchez ist davon überzeugt, selbst durch einen Gnadenakt, mit dem er die Verurteilten vor gut zwei Jahren auf freien Fuß setzte, dazu beigetragen zu haben. Mehr als Katalonien ist es Sánchez, der von einer allgemeinen Amnestie profitieren würde: als Ermöglicherin seiner Wiederwahl.