Lediglich 8 Prozent hätten sich bislang tatsächlich vollständig aus Russland zurückgezogen. Unter ausländischen Firmen insgesamt hätten 44 Prozent den Rückzug begonnen oder bereits abgeschlossen. B4Ukraine berichtete, deutsche Unternehmen in Russland hätten im Jahr 2022 Ertragssteuer in Höhe von 402 Millionen Dollar (378 Millionen Euro) gezahlt. Sie hätten damit hinter Firmen aus den USA (712 Millionen Dollar), aber noch vor solchen aus der Schweiz (275 Millionen Dollar) gelegen.
B4Ukraine ist ein internationaler Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen, deren Ziel es ist, den Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen hinter der russischen Aggression zu blockieren. Die Organisation betont, es gehe in ihrer Kritik an den Unternehmen nicht um Verstöße gegen Sanktionen. Konzerne, die weiterhin in oder mit Russland Handel treiben, trügen aber durch die von ihnen gezahlten Steuern, die von ihnen unterstützten Lieferketten und die von ihnen bereitgestellten Technologien zu den Kriegsanstrengungen bei.
B4Ukraine warf am Montag auch deutschen Firmen vor, durch ihre Russland-Geschäfte die Kriegskasse des Kremls zu füllen. Diese Unternehmen unterliefen damit die Unterstützung der Ukraine durch die Bundesregierung und den deutschen Steuerzahler. Zudem legitimierten sie durch ihre anhaltende Präsenz in den Augen gewöhnlicher Russen den Angriffskrieg. Das mit Abstand umsatzstärkste deutsche Unternehmen in Russland sei 2022 die Metro AG gewesen, der Konzern habe bislang keinerlei Rückzugsabsichten verkündet. Metro habe im vergangenen Jahr auch die zweithöchste Ertragssteuer unter den deutschen Unternehmen in Russland gezahlt.
B4Ukraine-Mitbegründer Bennett Freemann sagte, Metro gehöre zu jenen Unternehmen, die als Argument für ihre weitere Präsenz in Russland anführten, dass sie lebenswichtige Güter oder Dienstleistungen vertrieben. Freemann hielt das für eine Ausrede. Dieser Grund werde von ausländischen Firmen am häufigsten genannt, sagte er. Zwar gebe es westliche Unternehmen, die in Russland tatsächlich lebenswichtige Güter wie Medikamente produzierten. "Und es mag einige Grauzonen geben." Produkte wie Kekse oder Limonaden, deren ausländische Hersteller das Argument ebenfalls für sich ins Feld führten, fielen aber ganz sicher nicht darunter.
Ein Metro-Sprecher teilte mit, der Konzernvorstand habe den Krieg Russlands gegen die Ukraine mehrfach in aller Deutlichkeit öffentlich verurteilt. Höchste Priorität sei es, das Geschäft in der Ukraine zu unterstützen. In Russland seien seit Kriegsbeginn keine Wachstumsinvestitionen mehr erfolgt. "Dennoch tragen wir auch Verantwortung für unsere rund 10.000 Mitarbeitenden und die Lebensmittelversorgung unserer professionellen Kunden in Russland, und Russland ist ein großes Geschäft mit Bedeutung für das Gesamtportfolio des Konzerns." Deswegen werde das Geschäft in Russland weitergeführt.
Freemann forderte verbindliche Definitionen darüber, was als lebenswichtige Güter und Dienstleistungen gelte. "Für uns ist das ein schmaler Grat, und es muss nachgewiesen und erklärt, nicht nur behauptet werden." B4Ukraine argumentiert, die Firmen spielten mit ihrem Engagement in Russland "russisch Roulette". Sie trügen indirekt zur Finanzierung russischer Kriegsverbrechen mit. Sie liefen zudem Gefahr, in Verbindung mit Geldwäsche, Terrorfinanzierung sowie organisierter und Cyber-Kriminalität gebracht zu werden. Sie schädigten darüberhinausgehend ihren Ruf. Nicht zuletzt riskierten sie, in der Ukraine von öffentlichen Aufträgen etwa beim Wiederaufbau ausgeschlossen zu werden.
"Es mag nicht möglich sein, Firmen, die nicht gegen Sanktionen verstoßen, zu sagen, dass sie rausmüssen", sagte Freemann. "Aber es ist notwendig, den Firmen zu sagen, dies sind die Risiken und Folgen, wenn ihr drinbleibt." Er hoffe, dass die Bundesregierung entsprechende Gespräche mit den Verantwortlichen in den Unternehmen führen werde. Womöglich sei auch denkbar, Unternehmen, die in Russland tätig seien, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder steuerlich zu benachteiligen.
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