Macron verteidigte die Auflösung der Nationalversammlung als einen notwendigen Schritt zur "Klärung der Lage". "Es gab eine Blockade, die die Regierung am Handeln hinderte", erklärte er. Die Europawahl, bei der der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) 31,4 Prozent der Stimmen erhielt, während Macrons Liste Renaissance deutlich weniger Stimmen bekam, habe gezeigt, dass die Wähler "ihrer Wut Luft gemacht" hätten. "Die Botschaft ist angekommen", versicherte Macron.
Macron räumte ein, für den Aufstieg der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National mitverantwortlich zu sein. "Ja, ich trage eine Verantwortung dafür, auf die Sorgen der Wähler nicht schnell und radikal genug geantwortet zu haben", sagte er. Der Erfolg des RN bei der Europawahl sei ein Ausdruck dieser vernachlässigten Sorgen.
Der Präsident schloss nicht ausdrücklich aus, dass er im Falle eines Wahlsiegs des RN bei den Neuwahlen am 30. Juni und 7. Juli deren Parteichef Jordan Bardella zum Premierminister ernennen könnte. "Der Präsident wird den Premierminister entsprechend der Verteilung der politischen Kräfte in der Parlamentskammer auswählen", sagte er.
Im Wahlkampf, der nur noch 18 Tage dauert, wolle Macron sich "nicht einmischen". Eine Debatte mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen schloss er "unter den aktuellen Umständen" aus. Er kritisierte das Angebot des Chefs der rechtskonservativen Republikaner, Eric Ciotti, mit den bei der Europawahl erstarkten Rechtspopulisten ein Wahlbündnis einzugehen, als einen "Pakt mit dem Teufel". Macron verwies auf die unterschiedlichen Positionen der beiden Parteien, etwa zur Ukraine und zur Rentenreform. "Sie sind sich zu gar nichts einig", betonte er.
Macron appellierte an alle, "die das extreme Fieber" ablehnen, sich zusammenzuschließen. "Wir müssen uns für mehr Sicherheit einsetzen (...) und die illegale Einwanderung verringern", sagte er mit Blick auf eines der Hauptthemen der Rechtspopulisten. Er versprach "mehr Härte" hinsichtlich der Gewalt von Minderjährigen und kündigte eine "große Debatte über Laizität" an, die in Frankreich geltende Trennung zwischen Religion und Staat.
Macron richtete sich besonders an rechte Wähler, die sich noch von den Rechtspopulisten abwenden könnten. Der Rassemblement National "bedient sich der Demagogie auf allen Ebenen", sagte er. Die Partei könne ihr Programm, wie etwa die Rente mit 60, nicht finanzieren. "Wenn die Extreme gewinnen, dann wird Frankreich geschwächt aus der Wahl hervorgehen", warnte Macron. "Der RN hat nicht dieselbe Einstellung wie wir mit Blick auf die Ukraine, und er verhält sich uneindeutig mit Blick auf Russland", sagte Macron. "Das ist ein Problem für Europa und für Frankreich."
Die Auflösung der Nationalversammlung hat dazu geführt, dass sämtliche Gesetzesvorhaben derzeit ausgesetzt sind. Dazu zählen auch die umstrittene Wahlrechtsreform in Neukaledonien, die kürzlich Anlass heftiger Ausschreitungen in dem französischen Überseegebiet war, sowie die Debatte über das geplante Sterbehilfe-Gesetz.
Die Parteien haben noch bis Sonntag Zeit, um Kandidaten für die 577 Wahlkreise anzumelden. Der Wahlkampf beginnt offiziell am Montag. Gewählt wird am 30. Juni und am 7. Juli, wobei die zweite Runde auf den Beginn der Sommerferien fällt.
Die Entscheidung, Neuwahlen auszurufen, erfolgte nach dem historischen Wahlsieg der rechtsextremen Parteien bei der Europawahl. Einer Umfrage zufolge befürworteten 61 Prozent der Franzosen die Ausrufung von Neuwahlen. Macron hofft, dass diese Wahl zu einer breiteren Regierungskoalition unter Führung seiner Zentristen führen könnte.
Er warnte vor den beiden Extremen, der rechten und der linken, und betonte, dass seine zentristische Bewegung eine einheitliche Vision für das Land habe, sowohl im Inland als auch international. Macron schloss mit einem Appell an die "Männer und Frauen guten Willens", sich zusammenzuschließen und ein gemeinsames Projekt zu verfolgen, das dem Land zugutekommt.