
Einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums in Moskau folgend sollen künftig Häftlinge, die ihre Strafe in russischen Haftanstalten verbüßen, automatisch beim Militär registriert werden. Darüber berichtet die unabhängige russische Internetzeitung "Moscow Times". Entsprechende Änderungen der "Wehrmeldeordnung" werden auf dem Rechtsinformationsportal veröffentlicht.
Bislang waren Strafgefangene von der Wehrpflicht ausgeschlossen. Private paramilitärische Organisationen wie die Wagner-Gruppe des mittlerweile verstorbenen Unternehmers Jewgeni Prigoschin begannen in einer sehr frühen Phase des Krieges, Häftlinge in Gefängnissen zu werben – gegen Erlass ihrer Haftstrafen und eine verhältnismäßig gute Besoldung. Von den insgesamt rund 50.000 Söldnern, die Ende 2022 der Gruppe Wagner angehörten, sollen 40.000 ehemalige Strafgefangene gewesen sein.
Mit der jetzigen Neuregelung würde der Kreml das Prinzip der Freiwilligkeit streichen und müsste obendrein keine über das Normalmaß hinausgehenden Soldzahlungen leisten. Für die betreffenden Wehrpflichtigen in Strafkolonien, Gefängnissen und Justizvollzugsanstalten solle ab sofort das Konzept der "besonderen Militärregistrierung" gelten, berichtete die "Moscow Times".
Zuständig für das Verfahren sind die Einrichtungen des Bundesstrafvollzugsdienstes und die an ihrem Standort ansässigen Wehrmelde- und Einberufungsämter. In den Vollzugseinrichtungen sollen demnach Listen der zu registrierenden Personen erstellt werden, diese unterliegen dann mindestens einmal im Jahr einer Überprüfung. Im vergangenen Jahr erlaubte Präsident Wladimir Putin die Mobilisierung von Personen mit ausstehenden oder noch nicht beglichenen Haftstrafen, die aufgrund schwerer Verbrechen verurteilt sind – Mord oder Raub zum Beispiel. Nicht betroffen davon waren Menschen, die wegen Terrorismus, Hochverrats, Spionage oder Vergewaltigung Strafen verbüßten.
2023 wurde die Praxis auf Menschen ausgedehnt, die wegen geringfügiger und mittelschwerer Straftaten verurteilt worden sind – mit Ausnahme politischer Gefangener, was in Russland zumeist unter die Kategorie Extremismus fällt. Im Juni 2023 modifizierte Putin diese Praxis, in dem ausstehende Strafen gestrichen werden, sobald die Personen eine militärische Auszeichnung erhalten haben, ihre Dienstzeit in der Armee beendet haben oder verletzungsbedingt beenden. Laut der russischen Justizbehörde wurden allein in der ersten Jahreshälfte 2022 insgesamt 274.687 Menschen verurteilt, davon 139.502 wegen geringfügiger Straftaten und 55.906 wegen mittelschwerer Straftaten. Am 1. Januar 2023 saßen den offiziellen Angaben zufolge 433.000 Menschen in russischen Haftanstalten.
Laut einer Recherche der britischen BBC und des unabhängigen russischen Newsportals "Mediazona" registrieren Gefangeneneinheiten die meisten Opfer auf russischer Seite. "Wir sind für sie keine Menschen, weil wir Kriminelle sind", sagt ein gewisser Aleksandr in der "New York Times" (NYT) über den Umgang der Kommandeure mit den Ex-Häftlingen, "wir werden zur Schlachtbank geführt". Alle Häftlinge, deren Frontberichte die "NYT" erhielt, hätten von "kolossalen Verlusten in ihren Einheiten und von der offensichtlichen Missachtung ihres Lebens durch ihre Kommandanten" berichtet, schreibt die Zeitung.
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