Einen überschaubaren Beitrag. Im Januar und Februar hatte Kernenergie nach Angaben des Branchenverbandes BDEW einen Anteil von vier Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland - ein Drittel weniger als im Gesamtjahr 2022. Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen sagte, der Weiterbetrieb sei insofern hilfreich gewesen, als dass französische Atomkraftwerke in großer Zahl noch immer nicht am Netz seien. "Das Stromangebot in Europa war im Winter also niedriger als sonst, und die Nachfrage ist andererseits im Winter besonders hoch, nicht zuletzt, da in Frankreich viele Haushalte mit Strom heizen." Der Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke habe nicht nur zur Versorgungssicherheit beigetragen, sondern auch geholfen, dass teure Erdgaskraftwerke weniger zum Einsatz kamen. Das habe sich dämpfend auf Strompreise ausgewirkt. Insgesamt seien die Effekte durch den Weiterbetrieb überschaubar gewesen, aber keinesfalls vernachlässigbar.
Energiemarkt-Expertin Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale NRW sagt: "Die Marktakteure haben sich bereits auf die neue Situation eingestellt. Strom wird bereits jetzt für die kommenden Wochen und Monate gehandelt, und es sind keine Preisanstiege an den Märkten erkennbar." Aus Sicht von Mirko Schlossarczyk von der Beratungsgesellschaft Enervis wäre der Preiseffekt bei einer Verlängerung der Laufzeit bis Jahresende sehr überschaubar gewesen. Der Stromgroßhandelspreis hätte 2023 im Jahresmittel um drei Euro je Megawattstunde niedriger gelegen. "Für Haushaltskunden wäre das ein um 0,3 Cent je Kilowattstunde geringerer Preis, ein Rückgang von nicht einmal einem Prozent."
Auch das Vergleichsportal Verivox erwartet kurzfristig keine konkreten Auswirkungen auf die Strompreise für Haushaltskunden. "Mittel- bis langfristig könnte die Abschaltung schon Auswirkungen haben, da mit der Kernkraft günstige Stromkapazitäten aus dem Markt genommen werden, die vor allem in Zeiten hoher Nachfrage ersetzt werden müssen", sagt Energieexperte Thorsten Storck. "Hier wird es darauf ankommen, wie schnell der Ausbau der Erneuerbaren voranschreitet und wie gut die fehlenden Kapazitäten ausgeglichen werden können." Frondel sagt: "Wir machen uns bei unseren europäischen Nachbarn zunehmend unbeliebt, da der doppelte Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft die Strompreise in ganz Europa treibt."
Laut Verbraucherzentrale sind die Strompreise für Haushaltskunden, die einen neuen Tarif abschließen wollen, deutlich gesunken. "Aktuell gibt es Stromtarife ab circa 32 Cent pro Kilowattstunde plus Grundpreis", sagt Wallraf. Preissenkungen bei Bestandskundentarifen seien noch eine Ausnahme. Für die kommenden Monaten rechnet sie mit einer weiteren Entspannung: "Es werden noch mehr Anbieter um Kunden werben mit Preisen leicht oberhalb der 30 Cent-Marke."
Das Vergleichsportal Check24 sieht "weiterhin eine positive Entwicklung der Strompreise". Haushalte könnten nach dem Ende des Winters vor allem bei alternativen Anbietern mit günstigen Preisen rechnen, sagt Energie-Geschäftsführer Steffen Suttner. "Die Entwicklung bleibt allerdings abhängig von den weltpolitischen Ereignissen sowie den Füllständen der Gasspeicher." Auch Schlossarczyk rechnet mit sinkenden Endverbraucherpreisen. Fraglich sei aber, wie sich Kostenkomponenten wie Netzentgelte oder Umlagen entwickelten: "Sollten diese weiter steigen, könnte dies einen Preisrückgang bei den Endverbraucherpreisen bremsen."
Laut der Verbraucherzentrale NRW zahlen viele Haushalte aktuell "noch sehr hohe Preise", die jenseits der 40 oder sogar 50 Cent pro Kilowattstunde lägen. Wallraf empfiehlt daher, zeitnah zu wechseln, sofern man seinen Vertrag jetzt kündigen könne. Auch Tarife eines Stadtwerks könnten eine Option sein, gerade für Kunden, die in der Energiekrise schlechte Erfahrungen mit Discountern gemacht hätten. "Langfristig haben sich die Händler und Versorger je nach Beschaffungsstrategie seit langem mit ausreichend Strom für die kommenden Monate und Jahre eingedeckt", sagt ein Sprecher der Netzagentur. Die Abschaltung der Atomkraftwerke sei längst einkalkuliert. Kurzfristig entscheide das Marktgeschehen auf den Spotmärkten, welche Kraftwerke tatsächlich Strom produzierten. "Dabei werden jeweils die preiswertesten, aktuell zur Verfügung stehenden Erzeugungstechnologien zuerst eingesetzt."
"Die Versorgungssicherheit sollte aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien nicht gefährdet sein", sagt Enervis-Experte Schlossarczyk. Er begründet dies auch mit der Reaktivierung von Kohlekraftwerken aus der Netzreserve und Sicherheitsbereitschaft. "Damit stehen dem Markt nun etwa sieben Gigawatt zusätzliche Kraftwerkskapazität zur Verfügung."
Auch seien Kapazitäten im Übertragungsnetz erweitert worden und könnten effizienter genutzt werden. Weil der Gaspreis stark gesunken sei, könnten Gaskraftwerke vermehrt in der Stromerzeugung eingesetzt werden. Experte Christian Rehtanz hält die Versorgungssicherheit zumindest die nächsten Monate für nicht gefährdet. Kohlekraftwerke seien zurück in den Markt geholt wurden, sagt der Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der TU Dortmund.
Nach dem Atomausstieg strebt die Bundesregierung bis 2030 auch einen Ausstieg aus der Kohleverstromung an. "Damit steigen wir aus wichtigen Säulen für die gesicherte Stromerzeugung aus, also Kraftwerken, die liefern, wenn Wind und Sonne nicht bereitstehen", sagt Timm Kehler vom Branchenverband Zukunft Gas. Neben erneuerbaren Energien müssten schnellstmöglich wasserstofffähige Gaskraftwerke aufgebaut sowie weitere, flexibel steuerbare Kapazitäten wie Stromspeicher verfügbar gemacht werden. Ähnlich äußert sich BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. RWI-Experte Frondel sagt mit Blick auf den Kohleausstieg, zusätzliche Erdgaskraftwerke hätten längst gebaut werden müssen. "Deutschland lebt zunehmend vom Prinzip Hoffnung und vertraut darauf, dass die Nachbarländer die wegfallenden Kapazitäten ausgleichen. Das ist aber wegen begrenzter grenzüberschreitender Netzkapazitäten nur eingeschränkt möglich."
Die Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke sorgt weiterhin für Diskussionen und Proteste. In Berlin sind bislang parallel zu der Maßnahme an diesem Samstag drei Kundgebungen bei der Polizei angekündigt worden. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace feiert den Ausstieg mit einer bildstarken Aktion am Brandenburger Tor: eine vier Meter hohe Skulptur eines erlegten Dinosauriers soll dort umgeben von Atommüllfässern zu sehen sein. Entworfen und gebaut hat diese der Düsseldorfer Bildhauer Jacques Tilly, wie Greenpeace mitteilte. Tilly ist international bekannt für seine Wagen im Rosenmontagsumzug.
Auf der Westseite des Brandenburger Tors sowie auf dem Platz vor dem Bundestag sind weitere Kundgebungen geplant. Zu diesen hat der Verein Nuklearia aufgerufen. Es würden auch Demonstranten aus dem Ausland erwartet, um "ein positives Zeichen unter dem Motto "Kernkraft gewinnt"" zu setzen, hieß es. Nach Angaben der Polizei werden rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei allen drei Aktionen erwartet. Auch in anderen Städten Deutschland soll es Demonstrationen geben.
Am Samstag sollen die drei verbliebenen Kernkraftwerke - Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg - in Deutschland endgültig vom Netz gehen. Eigentlich sollte dies schon Ende vergangenen Jahres passieren. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise beschloss die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr jedoch, die Meiler über den Winter noch weiterlaufen zu lassen. Schon 2002 beschloss die rot-grüne Regierung ein Ende der Atomstromproduktion nach einer "Regellaufzeit" von 32 Jahren pro Kraftwerk. Neubauten waren nicht mehr erlaubt. Acht Jahre später verlängerte die CDU/CSU/FDP-Koalition die Laufzeiten wieder. Doch nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den endgültigen Ausstieg durch.
mit Material der dpa