"Crime und Horror ermöglichen es den Menschen, aus einer sicheren Distanz Extremereignisse und Grenzerfahrungen zu erleben", erklärt Julia Winkler, akademische Rätin am Lehrstuhl für Kommunikationspsychologie und neue Medien der Universität Würzburg. Das seien vor allem die Art von Ereignissen, die man im echten Leben auf keinen Fall erleben wolle – etwa in einen Kriminalfall verwickelt zu sein oder einem Serienmörder zu begegnen. "Crime und Horror ermöglichen das – aber in einem geschützten Rahmen", sagt Winkler. Es sei für Menschen spannend zu erfahren, wie sie diese Ängste meistern können, ohne sich selbst in Gefahr bringen zu müssen.
Schauen und hören denn vor allem die Menschen Horror und Crime-Podcasts, deren eigenes Leben sonst eher ruhig ist? Das glaubt Winkler nicht. "Langeweile kann zwar durchaus dazu motivieren, einen Horrorfilm zu schauen oder einen Crime-Podcast zu hören. Gerade bei Crime-Podcasts spielt aber auch der Gewohnheitsaspekt eine wichtige Rolle – diese werden oft nebenbei gehört." Das bestätigt eine Studie des Marktforschungsinstitutes Splendid Research. Demnach hört die Hälfte der deutschen Hörerinnen und Hörer Podcasts parallel zu anderen Tätigkeiten – etwa beim Putzen, Essen oder Heimwerken. Klar, dass der Grusel dann manchmal geringer ausfällt.
Einige Menschen versprechen sich von Crime-Podcasts dagegen auch einen echten Nutzen. "Die Motivation ist oft die (unbewusste) Hoffnung, etwas über Gefahrensituationen lernen zu können", sagt Winkler. Das treffe vor allem auf True Crime zu, denn in diesen Formaten würden echte Fälle geschildert. Mit dem erlernten Wissen glaubten Zuhörerinnen und Zuhörer dann manchmal, sich selbst in einer ähnlichen Situation schützen zu können, vermutet Winkler. "Etwa indem man etwas über die Psyche von Täterinnen und Tätern erfährt."
Horrorfilme dagegen werden wohl meist ohne Nebentätigkeit konsumiert – vom Popcornverzehr einmal abgesehen. Ganz allgemein zu sagen, worin genau ihre Faszination besteht, ist allerdings schwierig. Das liegt Winkler zufolge vor allem daran, dass es im Horrorbereich sehr viele unterschiedliche Sub-Genres gibt. "Die Gründe, warum Menschen von ihnen fasziniert sind, sind daher natürlich ebenso vielfältig", erklärt Winkler.
Die große Gemeinsamkeit von Horror und Crime sind die spannenden Geschichten. "Was spannende Geschichten, die als unterhaltsam erlebt werden, gemeinsam haben, ist das Zusammenspiel von Spannungserleben und das Auflösen der Spannung", sagt Winkler. Gerade das Auflösen einer Furcht einflößenden Situation werde demnach oft als angenehm und erleichternd empfunden.
Nicht jeder Mensch ist jedoch gleichermaßen ein Fan von Horror und Crime. Es gebe zum Beispiel Studien, die Geschlechterdifferenzen beim Konsum von Horror und Crime zeigen, erklärt Winkler. So werden gerade Horrorfilme meist eher von Männern gesehen, Crime-Podcasts eher von Frauen gehört. Die Forschung sei bei dem Thema zwar nicht sehr weit, aber es gebe auch Hinweise darauf, dass das Interesse an Horror gerade in der Jugend besonders hoch sei, im Alter dann tendenziell eher abnehme, so Winkler.
Was zeichnet Menschen aus, die besonders viele dieser Formate konsumieren? In diesem Zusammenhang wurde bereits häufiger das sogenannte "Sensation-Seeking" untersucht. Es beschreibt die Neigung von Menschen, nach aufregenden neuen Erlebnissen zu suchen. Bereits in den Achtzigerjahren fand der US-amerikanische Psychologe Marvin Zuckerman heraus, dass Menschen, die eine Neigung zum "Sensation-Seeking" aufweisen, auch eine Vorliebe für Horror haben. "Diese Menschen langweilen sich schneller und suchen stärker nach neuen Reizen", erklärt Winkler. Sie interessierten sich für Horrorfilme und Crime-Geschichten und hätten ein generell stärkeres Interesse an morbiden Ereignissen.
Das mag sich im ersten Moment vielleicht nicht gerade gesund anhören. Mental sind die Menschen, die Horrorfilme schauen, aber oft sogar stabiler. So zeigte eine US-Studie, dass Horrorfans während der Corona-Pandemie psychologisch widerstandsfähiger waren. Sie litten deutlich seltener unter psychischen Problemen.
"Es zeigt sich außerdem, dass Menschen, die generell in ihrem Leben das Bedürfnis nach starken Gefühlen haben, eine Vorliebe für Horrorfilme haben", sagt Winkler. Oft sei es so, dass diese Menschen das Erleben von negativen Gefühlen positiver bewerten. "Wenn zum Beispiel der Held in einer Geschichte in Gefahr ist, kann man seine Angst spüren – man kann aber in einer Ebene darüber auch noch Spaß an dem Erleben der eigenen Angst haben", erklärt Winkler.
Das geht aber längst nicht allen Menschen so. Menschen, die ängstlicher oder empfindlicher sind, gerade was Ekel betrifft, scheinen Horrorfilmen eher aus dem Weg zu gehen. Verallgemeinern lassen sich all diese Erkenntnisse jedoch kaum. "Wichtig ist: Auf der Grundlage von Vorlieben lässt sich nicht auf die Persönlichkeitseigenschaften von Individuen schließen", sagt Winkler. Nur weil ein Mensch also gern Horrorfilme schaut, heißt das nicht, dass er in jedem Fall ein "Sensation-Seeker" sein muss oder etwa Freude an der eigenen Angst hat.
Hat der Konsum von Horror und Crime auch langfristige Folgen? "Geschichten haben schon das Potenzial, unsere Weltsicht oder unsere Einstellungen zu verändern", erklärt Winkler. Und manchmal machen sie uns auch so große Angst, dass wir sie nicht so schnell vergessen können. "Meist halten diese Ängste aber nicht lange an", beruhigt Winkler. Und dann ist der Gang in den Keller bald auch wieder ohne mulmiges Gefühl möglich.