Im Mittelpunkt des Tory-"Bürgerkriegs", wie Kommentatoren den Streit nennen, steht das Vorgehen gegen irreguläre Migranten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal ins Land kommen. Sunak hat versprochen, diese Ankünfte zu stoppen. Das neue Gesetz soll abschrecken: Es sieht vor, irregulär eingewanderte Asylsuchende ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda auszuweisen - ohne Möglichkeit einer Rückkehr.
Experten wie der Politologe Matthew Flinders von der Universität Sheffield sprechen von Symbolpolitik bei hohen Kosten. Bisher sind bereits 270 Millionen Pfund an Ruanda geflossen, aber kein Migrant kam dort an. An der Ursache - dem Rückstau von Asylanträgen - ändere sich mit dem Gesetz nichts, sagte Flinders der dpa.
Bei einem Frühstück in der Downing Street versuchte Sunak am Morgen, Vertreter des rechten Tory-Flügels umzustimmen - ob das klappt, war unsicher. Den Rechtskonservativen geht der Plan noch immer nicht weit genug. Sie fordern deutliche Nachschärfungen, sonst würden sie sich mindestens enthalten.
Zwar sieht Sunaks Entwurf vor, Ruanda zum sicheren Drittstaat zu erklären - obwohl das oberste britische Gericht rechtsstaatliche Defizite in dem ostafrikanischen Land kritisiert hatte. Damit Betroffene nicht vor britischen Gerichten klagen können, wird die Berufung auf britische Menschenrechte nun ausgeschlossen. Die Hardliner aber fordern den Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, damit Betroffene sich auch nicht mehr an internationale Gerichte wenden können. Das lehnt Sunak bisher ab.
Und auch dem moderaten Teil der Fraktion, ebenfalls etwa 100 Abgeordnete stark, geht dies viel zu weit. Sie fürchten um die Reputation, wenn Großbritannien sich über internationale Menschenrechte hinwegsetzt. Schon jetzt kritisieren Justizexperten, der Entwurf hebele die Gewaltenteilung aus. Sollte Sunak doch noch den Forderungen der Rechten nachkommen, droht die Parteilinke mit einer Revolte. So steckt der 43-Jährige zwischen den Fronten.
Selbst wenn das Gesetz durchkomme, sei der Streit nur aufgeschoben und dürfte später neu aufbrechen, sagte Experte Garnett von der Universität Lancaster. Politologe Flinders sagte, es gebe keinen Ausweg: "Der Premierminister hat keine Karten mehr auf der Hand."
Migration ist für die Tories längst eines der wichtigsten Themen im aufkommenden Wahlkampf. Bis Januar 2025 muss ein neues Parlament gewählt werden, Kommentatoren rechnen mit einer Abstimmung spätestens im Herbst 2024. In Umfragen liegen Sunaks Konservative weit abgeschlagen hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei. Im harten Vorgehen gegen irreguläre Einwanderer sehen die Tories noch eine Chance, ihre Wähler doch bei der Stange zu halten.
Doch anstatt geschlossen aufzutreten, sorgt der Streit um das Wie für neues Chaos und gegenseitige Anschuldigungen. Wie bei den Brexit-Debatten unter der damaligen Premierministerin Theresa May inszenieren sich die Rechtsaußen in Fraktionsgruppen wie der European Research Group (ERG) medienwirksam, um Druck auf Downing Street auszuüben. Eine "Star Chamber" aus rechtskonservativen Justizexperten senkte vor laufenden Kameras den Daumen über Sunaks Plänen. Spätestens da war offensichtlich, dass der Premier sein politisches Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand hatte.
Sunak trägt nach Ansicht von Beobachtern selbst eine Schuld an der immer lauteren Debatte. Tagelang ließ er den Streit laufen, verließ sich auf die sogenannten Whips, die Einpeitscher, die in der Fraktion für die Disziplin zuständig sind, sowie den Charme seines Außenministers und Vor-Vor-Vor-Vorgängers David Cameron. Doch Schmeicheleien - angeblich wurden sogar Mandate im Oberhaus auf Lebenszeit geboten - und Drohungen einer baldigen Neuwahl konnten offenbar bisher nur wenige Rechte auf Linie bringen.
Ob es reicht, dürfte erst die Abstimmung am Abend zeigen. Auf den Tag genau vier Jahre nach ihrem fulminanten Wahlsieg 2019 könnte das Votum das Aus für die Konservativen beschleunigen. Schon fordern die ersten, dass in diesem Falle der Sieger von damals die Partei erneut übernehmen möge. Sein Name: Boris Johnson.