Auch Netanjahu erinnerte mit harschen Worten an den Holocaust und verglich die Morde der Hamas mit den Massakern der Nazis: "Die Hamas sind die neuen Nazis", sagte er. Zwei Mal wurde der Besuch von Raketenalarm unterbrochen. Der Kanzler musste sich jeweils für mehrere Minuten in einem Schutzraum verschanzen.
Scholz und Netanjahu trafen sich wegen des Ausnahmezustands im ganzen Land nicht wie sonst üblich im Büro des Ministerpräsidenten in Jerusalem sondern im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. In der Eingangshalle stehen dieser Tage Dutzende Reservisten an, um sich zum Kriegsdienst zu melden. Dass Netanjahu nach dem Gespräch überhaupt mit Scholz vor die Presse trat, war eine Seltenheit. Seit den Terrorattacken hat es das nicht mehr gegeben. Fragen der Journalisten wurden aber nicht zugelassen.
Netanjahu sagte, die Gräueltaten der Hamas seien die schlimmsten Verbrechen an Juden seit dem Völkermord der Nazis. Er verglich sie mit dem Massaker in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew, wo 1941 etwa 33 000 Juden innerhalb kurzer Zeit hingerichtet und verscharrt wurden.
"Dies ist eine Grausamkeit, die wir nur von den Nazi-Verbrechen während des Holocaust erinnern", sagte Netanjahu zu den Hamas-Verbrechen. Er verglich die Organisation auch mit dem Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Die Welt müsse Israel dabei helfen, die Hamas zu zerstören, forderte Netanjahu.
Während die beiden Regierungschefs die Journalisten informierten, wurde der Großraum Tel Aviv zwei Mal mit Raketen beschossen. Im Stadtzentrum selbst waren zunächst keine Warnsirenen zu hören, aber zwei laute Explosionen. Als die Kolonne des Kanzlers das Verteidigungsministerium verließ, waren Abschüsse von Abwehrraketen des Schutzschirms Iron Dome (Eisenkuppel) zu hören, der die Metropole vor den Angriffen der Hamas schützen soll.
Anschließend kam es zu den Raketenalarmen in der Botschaft. Der erste erfolgte während eines Gesprächs mit dem Oppositionspolitiker Benny Gantz, das dann im Schutzraum fortgesetzt wurde. Der zweite kurz vor einem EU-Videogipfel, an dem Scholz von Tel Aviv aus teilnahm.
Scholz ist einer der ersten Regierungschefs, der Israel nach den Attacken der Hamas besuchte - noch vor US-Präsident Joe Biden, der am Mittwoch in Tel Aviv erwartet wird. Das kommt nicht von ungefähr. Schon 2008 hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Sicherheit Israels in einer Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, zur Staatsräson erklärt. Scholz hat sich das zu eigen gemacht. Jetzt gilt es zu zeigen, was Staatsräson bei einem konkreten Angriff bedeutet.
Und da will sich Scholz auch nicht wieder Zögerlichkeit vorwerfen lassen wie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Damals dauerte es fast vier Monate, bis er sich mit dem Zug nach Kiew aufmachte. Zu diesem Zeitpunkt waren schon etliche Staats- und Regierungschefs und selbst Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) dort gewesen. Jetzt gehört Scholz zu den Allerersten seines Rangs, der seine Solidarität vor Ort zeigt.
Dass Israel von ihm vor allem Rückendeckung für seine Militärschläge gegen die Hamas erwartet, machte Netanjahu bei dem Treffen sehr deutlich. Scholz hat diese in den vergangenen Tagen auch immer wieder versprochen - und zwar ohne Einschränkungen oder Verweise auf das Völkerrecht. "Es ist völlig klar, Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen diesen Terror zu wehren", sagt er auch in Tel Aviv wieder. "Jeder Staat hat die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen."
Militärische Unterstützung erwarten die Israelis von Deutschland dagegen bisher kaum. Zwei geleaste israelische Drohnen, die auch bewaffnet werden können, wurden von der Bundeswehr zurückgegeben. Einen Antrag auf Lieferung von Munition für Kriegsschiffe hat Israel nach Angaben der Bundesregierung inzwischen wieder zurückgestellt.
Konkret geht es nun vor allem um humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen, die von Israel vor einer möglichen Bodenoffensive zu Hunderttausenden zur Flucht aufgefordert wurden. Scholz betonte am Dienstag, dass Deutschland weiter solche Hilfe für die notleidenden Menschen in Gaza leisten werde. Und er sagte: "Wir setzen uns dafür ein, dass es einen humanitären Zugang zum Gaza-Streifen gibt." Das soll auch ein Schwerpunkt sein, wenn US-Präsident Biden am Mittwoch nach Israel kommt.
Nicht zuletzt geht es Scholz bei seiner Nahost-Mission um die Freilassung der rund 200 in den Gaza-Streifen verschleppten Geiseln der Hamas - darunter sind mehrere Deutsche, zu denen die Bundesregierung keinen Kontakt hat. Mit Angehörigen von ihnen traf sich Scholz in Tel Aviv. Vor der Botschaft standen Freunde der verschleppten Shani Louk mit einem Plakat: "Only Scholz can save Shani" - "Nur Scholz kann Shani retten".
Um die Geiseln wird es auch gehen, wenn Scholz am Mittwoch in Kairo, der zweiten Station seiner Nahost-Reise, mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zusammentreffen wird. Der Kanzler setzt darauf, dass Ägypten seinen Einfluss auf die Hamas geltend machen kann.
Vor dem Abflug von Tel Aviv nach Kairo hatte Scholz wegen eines Raketenalarms schlagartig das Flugzeug verlassen müssen. Scholz wurde mit einem Auto in ein Gebäude gefahren, die anderen Passagiere wurden aufgefordert, sich auf dem Flugfeld auf den Boden zu legen. Es wurden zwei Flugabwehrraketen abgefeuert, die auf dem Flugfeld deutlich zu hören waren. Nach wenigen Minuten konnten die Passagiere wieder in das Flugzeug steigen. Am späten Abend flog die Maschine mit Scholz und der Delegation Richtung Kairo ab.