"Auch die Rettungsdienste brauchen eine Rettung", sagte Lauterbach. "Die Notfallversorgung darf nicht weiter selbst ein Reformnotfall bleiben." Die Vorschläge würden nun in Eckpunkte der Regierung einfließen, kündigte Lauterbach an. Parallel dazu werde die eigentliche Klinikreform vorangetrieben, die durch eine andere Klinikfinanzierung Schließungen der unter Finanzdruck stehenden Kliniken möglichst abwehren solle.
Bereits vor Monaten hatten Vertreter der Rettungsdienste gewarnt, diese stünden vor einem Kollaps. Die Arbeitsbelastung ist demnach hoch, die Abwanderung von Personal ebenso. Viele im Rettungswagen transportierte Patientinnen und Patienten gehörten eigentlich nicht in die Notaufnahme, sondern etwa zum Hausarzt. Viele wählten die 112 "aus Hilflosigkeit", sagte der Ärztliche Leiter der Notaufnahme am Charité-Campus Benjamin Franklin, Rajan Somasundaram. Sie wüssten nicht, wen sie sonst erreichen könnten. Die Ausgaben der Krankenkassen für den Rettungsdienst sind dabei 2022 auf eine Rekordsumme von 8,4 Milliarden Euro gestiegen.
Dazu kommt ein "Fehlanreizsystem", wie die Regierungskommission feststellt. Weil das Gesetz nur Anspruch auf Fahrtkosten vorsieht, geht es in aller Regel direkt in die Klinik – "auch dann, wenn eine Vor-Ort-Behandlung möglicherweise ausreichend gewesen wäre". Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte: "Oft wäre es medizinisch stattdessen sinnvoller, Notfallpatienten durch spezialisiertes Rettungsdienstpersonal oder per Telemedizin ohne einen Transport ins Krankenhaus zu beraten und zu behandeln." Lauterbach sagte, es solle statt Krankentransporten in die Notaufnahme mehr "Vor-Ort-Versorgung" geben. "Das kann eine pflegerische Versorgung sein, es kann eine psychiatrische Versorgung sein, es kann sogar eine palliative Versorgung sein."
Geregelt ist der Bereich durch 16 unterschiedliche Landesgesetze, Träger sind in aller Regel Landkreise und Städte. So bestehen 300 eigenständige Rettungsdienstbereiche und über 200 Notfallleitstellen in Deutschland. "Es gibt eine unübersichtliche Gleichzeitigkeit von Unter-, Über- und Fehlversorgung, das kostet inzwischen nicht nur über acht Milliarden Euro im Jahr, sondern schlimmstenfalls sogar Menschenleben", sagte der Grünen-Experte Dahmen. Die Organisation und Struktur des Rettungsdienstes gleiche einem Flickenteppich.
Die Kommission schlägt nun Änderungen bei Gesetzen und Strukturen vor. So soll etwa die Notfallversorgung vor Ort als Teil eines neuen eigenständigen Leistungsanspruchs im Sozialgesetzbuch festgeschrieben werden. Es soll einheitliche Vorgaben und Standards etwa für eine Mindestausstattung mit Personal und Qualifikation geben. Denn bestehende Qualitätsdefizite seien "nicht akzeptabel", wie Lauterbach sagte. Auch die Vergütung soll einheitlicher werden und sich in einen Teil zum Vorhalten und einen für die Leistungen aufteilen. Eine Konzentration soll es bei den Leitstellen geben, so dass auf rund eine Million Einwohner künftig eine Leitstelle kommen soll.
Bereits im Februar hatten die Regierungsberater neue integrierte Leitstellen vorgeschlagen: Hilfesuchende, die sich im Notfall an den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 oder an den kassenärztlichen Notdienst unter der 116117 wenden, sollen dort eine Einschätzung bekommen. Dort soll entschieden werden, ob ein Rettungswagen gerufen wird oder die Hilfesuchenden etwa zu einer Praxis oder in eine Klinik vermittelt werden. Lauterbach sagte, die Reformen bei Not- und Rettungsdiensten sollten bewirken, dass Patienten, die ins Krankenhaus müssten, auch in das richtige Krankenhaus gebracht würden.
Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sollen den Vorschlägen zufolge künftig stärker qualifiziert werden und dann mehr tun dürfen. So sollen sie künftig auch Betäubungsmittel und andere Medikamente geben oder weitere kleinere Behandlungen vor Ort vornehmen dürfen. Notärzte sollen dann dagegen vor allem noch in besonders komplexen Fällen und überwiegend per Rettungshubschrauber oder telemedizinisch eingesetzt werden.
Um die Versorgung im Notfall auf dem Land zu erhalten, empfiehlt die Regierungskommission dort einen Ausbau für Landemöglichkeiten für die Luftrettung. Gestärkt werden soll die Erste Hilfe: So soll laut den Experten in den Schulen und am Arbeitsplatz eine verpflichtende Ausbildung zur Ersten Hilfe eingeführt werden. Flächendeckend sollen auch Ersthelfer-Apps zum Einsatz kommen: Sind freiwillige Ersthelfer nahe einem Einsatzort, werden sie per App von den Rettungsstellen um Mithilfe gebeten. Flächendeckend sollen zudem öffentlich zugängliche Defibrillatoren zur Wiederbelebung nach Herzstillstand aufgestellt werden.
dp/fa