Innerhalb der Bundesregierung gibt es Streit um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will für eine Übergangsphase einen "Brückenstrompreis" von sechs Cent je Kilowattstunde für besonders energieintensive Betriebe. Auch die SPD-Fraktion will das. Die FDP lehnt einen Industriestrompreis ab, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich bisher eher skeptisch.
Kretschmann warnte zugleich davor, die wirtschaftliche Lage schlechter darzustellen, als sie sei. "Wir müssen aufpassen, dass wir die Lage nicht durch dauerndes Lamentieren verschlechtern." Die Produktivität sei nach wie vor hoch und Deutschland eine innovative Region. "Wir sollten jetzt nicht so tun, als stünden wir am Abgrund. Das ist nicht so", sagte der Regierungschef. Die Landesregierung sei zudem nicht untätig. "Wir machen auch unsere Hausaufgaben, investieren in die digitale Infrastruktur, gehen die Digitalisierung der Verwaltung wirklich massiv mit allen Kräften an", sagte Kretschmann. Auch gehe man den Abbau überbordender Bürokratie an und setze auf Künstliche Intelligenz. "Da sind wir führend in ganz Europa", sagte Kretschmann.
Die hohe Inflation, der stockende Konsum und die schwächelnde Weltwirtschaft machen den Unternehmen im Südwesten Probleme. So meldete das Statistische Landesamt erst kürzlich für die erste Jahreshälfte einen Rückgang der Exporte aus Baden-Württemberg um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, während bundesweit die Exporte im selben Zeitraum um 3,3 Prozent zulegten. Auch der in Baden-Württemberg stark vertretene Maschinenbau klagt über eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit und nennt als Grund fehlende Fachkräfte sowie hohe Energiepreise.
Das bereitet auch Kretschmann Sorge. "Sorgen hat man immer, das ist klar. Wir müssen einfach die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes erhöhen und eine gemeinsame Zukunftsagenda auf den Weg bringen", sagte der Ministerpräsident. Er verwies auf das von der Bundesregierung geplante Wachstumschancengesetz. "Da sind wegweisende Dinge drin, die die Wirtschaft entlasten: Abschreibungsmöglichkeiten oder Steuersenkungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das ist, glaube ich, der richtige Weg", sagte Kretschmann. Er sei zuversichtlich, dass das Gesetz bald komme.
Dass Baden-Württemberg bei globalen Wirtschaftskrisen immer besonders stark betroffen sei, sei nicht neu, so Kretschmann. "In solchen Situationen gehen wir immer tiefer runter als die anderen Regionen, gerade weil wir so exportstark sind." Wenn sich die Lage dann aber wieder verbessere, gingen die Kennzahlen aber in der Regel im Südwesten auch wieder schneller hoch als anderswo.
Die geplante Strompreisreform mit niedrigeren Gebühren für Regionen mit viel Windkraft ist aus Sicht von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke notwendig für mehr Gerechtigkeit. "Endlich kommt hier Bewegung rein", sagte der SPD-Politiker. Dafür habe er lange gekämpft. "Die bundesweite Neuregelung muss endlich für mehr Gerechtigkeit sorgen. Auch wenn das Herrn Söder nicht passt."
Niedersachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein sind die Länder mit den meisten Windrädern in Deutschland. Gemeinsam mit Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatten sie im Juni faire Netzentgelte gefordert. Die zehn Länder kritisierten, dass die aktuellen Regelungen dazu führten, dass Stromverbraucherinnen und -verbraucher in Regionen mit einem starken Ausbau benachteiligt würden.
Die Bundesnetzagentur strebt eine Strompreisreform mit niedrigeren Gebühren für Regionen mit viel Windkraft an. Behördenpräsident Klaus Müller hatte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" Mitte August gesagt, bisher würden Regionen finanziell besonders belastet, die stark auf Windkraft setzten. Im Bundestag liege ein Gesetzentwurf, der der Netzagentur erlauben würde, faire Netzentgelte einzuführen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnt davor, dass der Strom im Süden teurer und im Norden billiger ist. Er sah in der "Süddeutschen Zeitung" im August Süddeutschland als industrielles Herz der Republik in Gefahr.
"Das läuft bisher klar zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger, der Unternehmen in den Ländern, die erheblich die Erneuerbaren ausgebaut haben, darunter ganz vorne Brandenburg", kritisierte Woidke. "Das Windrad vor dem Wohnzimmerfenster und die hohe Stromrechnung im Briefkasten."
Der Ausbau der Windkraft an Land ist für die Bundesregierung wichtig, um Klimaschutzziele zu erreichen und Kohle und Gas zu ersetzen. Die Strom-Netzentgelte sind ein Teil des Strompreises. Über sie wird zum Beispiel auch der Ausbau des Stromnetzes bezahlt. Sie sind laut Bundesnetzagentur im ländlichen Raum am höchsten, vor allem in den Bundesländern im Norden und im Osten Deutschlands.
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