Dabei warf er Moskau "Lügen" vor, wenn da behauptet werde, in der Ukraine dürfe kein Russisch gesprochen werden oder Russen würden gehasst. Er habe eine russische Mutter, die kaum Ukrainisch spreche, sagte er. "Wie kann ich meine Mutter hassen." Er habe "Mitleid" mit dem Nachbarland. "Ich sehe, wie Russland langsam verendet." Allerdings müssten beide Länder irgendwie zusammenleben, so Klitschko. "Wie lange es dauert, ist schwer zu sagen. Aber wir brauchen lange Zeit." Verstehen müsse Russland, dass die Ukraine Teil der Europäischen Union sein wolle. "Wir wollen Teil der europäischen Familie sein, ein europäisches, demokratisches Land aufbauen. Das passt nicht in die Vision von Putin, weil er wieder ein riesiges russisches Imperium aufbauen will", sagte Klitschko.
Der Ex-Boxweltmeister sprach sich für ein hartes Vorgehen gegen Russland aus. "Russen akzeptieren nur Stärke. Sie können nur so weit gehen, wie wir ihnen erlauben zu gehen." Putin müsse als "Sammler ehemaliger russischer Territorien" gestoppt werden. "Das ist eine dumme, kranke Idee, die Leben kostet", sagte Klitschko mit Blick auf die von Russland annektierten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine. "Wir wollen nicht zurück in das sowjetische Reich, ins russische Reich. Wir kämpfen für unsere Vision, für ein demokratisches Land." Es gebe Beispiele wie Polen und Tschechien, die früher Teile des kommunistischen Ostblocks gewesen seien, dass das gelingen könne.
In seinem Büro in der Stadtverwaltung in Kiew zeigt sich Bürgermeister Klitschko auch ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges kämpferisch - und dankbar. So habe Deutschland geholfen, das Leben vieler Menschen zu retten, etwa durch das Flugabwehrsystem Iris-T. Dadurch sei das Leben sicherer geworden. "Ich möchte im Namen von unserem Militär sagen: 1000 Mal Danke. Sie sind überrascht, wie gut es ist. Wie man sagt: Jeder Schuss ein Treffer. Dieses System hat viele Leben auf unserem Boden gerettet".
Er sehe auch die Gefahr, dass russische Truppen erneut die Hauptstadt angreifen werden, meinte Klitschko. Zugleich rechnet er aber damit, dass sie scheitern werden. "Ich glaube nicht, dass Russland gewinnt." Im vergangenen Jahr waren die russischen Truppen bereits in den Vororten und an den Stadträndern von Kiew, zogen dann aber wieder ab. Es gebe heute eine breite Koalition, die der Ukraine bei der Verteidigung des Landes helfe. Niemand müsse mehr überzeugt werden, sagte Klitschko.
Zum Jahrestag des Krieges an diesem Freitag will Klitschko auch an die vielen Toten erinnern. "Eltern haben ihre Kinder verloren, Kinder haben ihre Eltern verloren und sind als Waisen zurückgeblieben", sagte er. Mindestens 8000 Zivilisten sind bisher nach UN-Angaben in dem Krieg gestorben. Zur aktuellen Zahl der getöteten Soldaten macht die Ukraine keine Angaben. "Es sind Tausende und Tausende. Es ist eine riesige Zahl", sagte Klitschko, der als Bürgermeister auch für das Beerdigungswesen der Stadt zuständig ist. Auch viele seiner Bekannten seien mittlerweile tot.
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