Nach den ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) war die Entwicklung der Energiepreise der wichtigste Faktor für den starken Rückgang der Teuerung. Hier wurde nur noch ein Plus von einem Prozent im Vergleich zum Vorjahr errechnet. Die Ausgaben für Erdgas und Elektrizität waren in den vergangenen gut anderthalb Jahren der Hauptgrund dafür, dass die Inflationsraten so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr geklettert waren.
Ein Sondereffekt kam hier hinzu: Im vorigen Jahr war mit dem Beginn des Septembers der Tankrabatt weggefallen, was die Spritpreise seinerzeit auf ein erheblich höheres Niveau als zuvor trieb. Dieser sogenannte Basiseffekt macht sich nun in relativ geringen Preissteigerungen zum Vorjahrsmonat bemerkbar. Für den August 2023 hatten die Wiesbadener Statistiker noch ein Plus der Verbraucherpreise von 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr berechnet – auch wegen des damaligen Tankrabatts.
Zugleich haben sich aktuell die Nahrungsmittel aber erneut heftig verteuert: plus 7,5 Prozent. Für Dienstleistungen wird eine Zunahme von 4 Prozent angegeben. Auch hier wirkte ein Basiseffekt wegen des Wegfalls des 9-Euro-Tickets, das im Vorjahr für die Monate Juni, Juli und August zu haben war.
Rechnet man die oft stark schwankenden Preise für Nahrungsmittel und Energie heraus, ergibt sich eine sogenannte Kerninflation von immer noch 4,6 Prozent. Diese Zahl ist für Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, ein deutliches Zeichen. Seine These: "Die gesunkenen Verbraucherpreise in Deutschland sind ein Schritt in Richtung Normalität, aber noch kein Sieg über die Inflation." Die Kernrate werde auch in den nächsten Monaten nur langsam zurückgehen.
Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts IMK, sieht hingegen einen Hoffnungsschimmer, "dass die Dynamik hoher Inflationsraten in Deutschland gebrochen ist". In den nächsten Monaten sei mit weiteren Rückgängen zu rechnen, weil die Preise für Agrarrohstoffe auf den Weltmärkten ihren Zenit überschritten hätten – das werde sich bei den Nahrungsmittelpreisen bemerkbar machen.
Er rechnet außerdem damit, dass Erdgas und Elektrizität in den nächsten Monaten noch billiger werden. Anders sehe es allerdings bei Benzin und Diesel aus. Die Rohölpreise steigen, weil Russland und Saudi-Arabien sie durch Förderkürzungen in die Höhe treiben. Das macht sich an den Tankstellen immer stärker bemerkbar. Sprit ist derzeit so teuer wie seit November 2022 nicht mehr.
Ferner prognostiziert der Ökonom, dass sich die massiven Profitsteigerungen der vergangenen anderthalb Jahre in der Bauwirtschaft sowie in den Sparten Handel, Verkehr und Gastgewerbe nicht weiter fortsetzen werden – auch wegen der insgesamt noch abgeschwächten Konjunktur und der gestiegenen Zinsen. Ein Gewinnrückgang also, der auch die Teuerung dämpft.
Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen in ihrer aktuellen Gemeinschaftsdiagnose fürs Wirtschaftsministerium davon aus, dass die Inflationsrate zwar für dieses Jahr bei 6,1 Prozent liegen, aber 2023 auf 2,6 Prozent zurückgehen wird. Die Experten malen indes für die aktuelle Lage ein recht düsteres Bild: "Die Stimmung in den Unternehmen hat sich zuletzt erneut verschlechtert, dazu trägt auch politische Unsicherheit bei. Insgesamt deuten die Indikatoren darauf hin, dass die Produktion im dritten Quartal 2023 nochmals spürbar gesunken ist", heißt es.
Die Forscher haben ihre Vorhersage über die Entwicklung der Wirtschaftsleistung stark nach unten korrigiert. Sie erwarten jetzt für das Gesamtjahr ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,6 Prozent. Beim Arbeitsmarkt gehen die Institute allerdings nur von einem "moderaten Anstieg" der Erwerbslosen auf 2,6 Millionen Frauen und Männer für dieses Jahr aus. "Im kommenden Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen wohl leicht sinken."
Dann soll es auch beim BIP wieder aufwärts gehen: plus 1,3 Prozent. Die wichtigsten Punkte: Die Löhne hätten mittlerweile angezogen. Energiepreise hätten nachgegeben und den für die deutsche Volkswirtschaft so wichtigen Exporteuren sei es gelungen, höhere Kosten weiterzugeben: alles Faktoren, die die Kaufkraft stärken. "Daher dürfte der Abschwung zum Jahresende abklingen und der Auslastungsgrad der Wirtschaft im weiteren Verlauf wieder steigen."
"Wirtschaftspolitik muss jetzt Vorfahrt haben. Mit Steuern, überzogenen Klimavorgaben und Bürokratie ersticken wir das Potenzial unserer Industrie und des Mittelstands", sagte Christoph Meyer, Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion. Freiräume für wirtschaftliches Handeln und Wachstum müsse Priorität Nummer eins sein, abstrakte Umverteilungs- und Gerechtigkeitsdebatten würden nicht weiterhelfen. Meyer fügte hinzu: "Wir erwarten von Wirtschaftsminister Habeck endlich eine Fokussierung auf die Kernaufgabe seines Ressorts, nämlich Unterstützung von Unternehmerinnen und Unternehmern. Grüne Communityprojekte wie gemeinnützige Unternehmen zum Aufbau planwirtschaftlich anmutender Branchen müssen zurückgestellt werden."
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