Greta Thunberg, die Ikone der Klimaschutzbewegung, ist angesichts des Nahostkonflikts durch beklagenswerte Einseitigkeit aufgefallen. Fridays for Future International äußerte gar Verschwörungstheorien. Ein Desaster ist, dass es in der Manier von Rechtsaußen erfolgte. Da tauchen plötzlich "westliche Medien" auf, die angeblich "von imperialistischen Regierungen finanziert" "Gehirnwäsche" betreiben. Derlei Kritik ist nicht mehr nur eine bloße Verirrung. Sie ist ein Totalschaden für die Klimaschutzbewegung und deren junge Frau an der Spitze.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte von der deutschen Sektion der Klimaschutzgruppe Fridays for Future eine Namensänderung und eine klare Abgrenzung vom Antisemitismus verlangt. Schuster warf der weltweiten Dachorganisation von Fridays for Future eine "krude Geschichtsverdrehung, Dämonisierung Israels und nun auch noch Verschwörungsideologien" vor. Diesen Vorwurf richtete er namentlich auch an die Gründerin der Klimaschutzbewegung, Greta Thunberg.
Schuster sagte, er erwarte "von Luisa Neubauer und Fridays for Future Deutschland eine wirkliche Abkoppelung, eine Namensänderung der Organisation und den Abbruch jeglicher Kontakte zu Fridays for Future International". Neubauer ist die bekannteste Vertreterin von Fridays for Future Deutschland. Der Zentralratspräsident fügte hinzu: "Wenn Luisa Neubauer ihre Worte vom Brandenburger Tor ernst meint, wo sie sich entsetzt über den weltweiten Antisemitismus zeigte und auch die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel betonte, dann muss sie sich endlich lossagen von dieser Organisation." Dabei dürfe es nicht bei "Worten oder fadenscheinigen Erklärungen, wie wenig man miteinander zu tun habe, bleiben".
In einem Post im Netzwerk Instagram hatte die internationale Organisation von Fridays for Future behauptet, die weltweiten Medien seien "von imperialistischen Regierungen finanziert, die hinter Israel stehen". Die Gruppierung sprach von einer "Gehirnwäsche" und bezeichnete Israel als "Apartheids-System". Die von der radikalislamischen Hamas ermordeten Israelis wurden mit keinem Wort erwähnt.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hatte sich im Namen von Fridays for Future Deutschland klar von israelfeindlichen Äußerungen auf dem internationalen Account der Klimaschutzbewegung distanziert. "Unsere volle Solidarität gilt den Jüdinnen und Juden weltweit, und wir verurteilen scharf den Terror der Hamas", sagte Neubauer. "Wir distanzieren uns von den antisemitischen Posts auf internationalen Kanälen nachdrücklich." Die internationalen Netzwerke der Bewegung seien lose und strukturlos und wenige Personen stünden hinter einzelnen Posts.
"Es alarmiert uns zu erleben, wie eben diese Netzwerke insbesondere in den letzten Tagen von Wenigen missbraucht wurden, um Desinformation und Antisemitismus zu teilen", sagte Neubauer. Vor rund einer Woche hatte die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die Fridays for Future mitbegründet hat, in sozialen Netzwerken zu einem Streik für Solidarität mit den Palästinensern aufgerufen und damit für Empörung gesorgt.
Am Wochenende machte sie sich erneut für die Palästinenser stark. "Gerechtigkeit für Palästina", stand auf einem Schild, das die 20-Jährige bei ihrem freitäglichen Klimaprotest vor dem schwedischen Parlament in Stockholm in den Händen hielt. Auf Instagram hatte der internationale Fridays for Future-Account zudem harte Anschuldigungen gegen den israelischen Staat und "westliche Medien" erhoben.
Neubauer versprach, die Vorgänge der letzten Tage sehr ernst zu nehmen. "Ich setze mich persönlich dafür ein, dass wir globale Prozesse aussetzen, bis wir sicher sein können, dass eine einzelne Gruppe nicht länger globale FFF-Accounts für Desinformation und Hass nutzen kann", sagte sie.
Zuvor hatten auch Politiker von CDU und FDP eine stärkere Distanzierung der deutschen Sektion von Fridays for Future gefordert. "Die israelfeindlichen Äußerungen von Greta Thunberg und ihrem Umfeld sind Wasser auf die Mühlen der Hamas", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dürr sagte, er halte die "dünnen Erklärungen und Statements" des deutschen Ablegers von Fridays for Future nicht für ausreichend. Er erwarte "die eindeutige Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Greta Thunberg und allen, die sich jetzt auf die falsche Seite der Geschichte stellen".
Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. "Teile von Fridays for Future vergiften mit inakzeptablen antisemitischen Äußerungen und Verschwörungstheorien das gesellschaftliche Klima. Die halbherzige Abgrenzung der deutschen Aktivisten ist inakzeptabel und irritierend. Da muss mehr kommen", sagte er.
Man könnte den Skandal auf einen Mangel an Professionalität jener Bewegung zurückführen, in der einzelne zum Schaden aller posten dürfen, was sie wollen. In Wahrheit zeigt er ein weiteres Mal den radikalen Wandel der politischen Kultur in der westlichen Welt an. Sie ist durch wachsende Polarisierung und Zerfall gekennzeichnet.
Der Wandel hat zumindest in Deutschland mit einem Generationswechsel zu tun. Für junge Menschen ist das Existenzrecht Israels eben nicht Staatsräson – so wie für die Nachkriegs- und 1968er-Generation, in deren Seelen das "Nie wieder" fest eingebrannt wurde. Die Flugblattaffäre um den Vorsitzenden der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, hat gezeigt, dass die Imprägnierung unter älteren Deutschen ebenfalls nachlässt. Mit Tätern und Opfern des Nationalsozialismus sterben auch die Lehren aus ihm aus.
Der Prozess geht einher mit dem Umstand, dass mittlerweile fast ein Drittel der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund hat. Sie haben einen anderen Zugang zur deutschen Geschichte, zuweilen haben sie gar keinen.