Berlin, 15. August 2024 – Laut einem aktuellen Bericht des Wall Street Journal (WSJ) war eine kleine ukrainische Mannschaft, getarnt als Ausflugsbootfahrer, für die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich. Die Operation soll während einer feuchtfröhlichen Nacht im Mai 2022 von ukrainischen Militäroffizieren ausgeheckt worden sein, die den kurzfristigen Stopp der russischen Invasion feierten und Moskau einen weiteren Schlag versetzen wollten. Diese Informationen stützen sich auf Aussagen von vier anonymen Quellen, die laut WSJ direkt in den Plan involviert waren.
Die Nord-Stream-Pipelines, ein Netzwerk unterseeischer Erdgasleitungen von Russland nach Deutschland, versorgten Westeuropa mit russischem Erdgas und generierten Milliarden von Dollar für den Kreml. Der Plan zur Sabotage der Pipelines kostete Berichten zufolge rund 300.000 US-Dollar und umfasste eine sechsköpfige Besatzung auf einer kleinen gemieteten Yacht. Anfangs soll der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Plan zugestimmt haben. Als jedoch der US-Geheimdienst CIA von der Operation erfuhr, forderte er Kiew auf, den Plan zu stoppen.
Selenskyj ordnete daraufhin den Abbruch der Mission an, aber der ukrainische Oberbefehlshaber Valeriy Zaluzhniy soll die Sabotage dennoch durchgeführt haben, wie das WSJ weiter berichtet. Trotz des Rückzugs von Selenskyj betrachteten die involvierten ukrainischen Offiziere die Pipelines als legitimes Ziel im Rahmen ihrer Verteidigungsstrategie gegen Russland.
Der Bericht löste unterschiedliche Reaktionen aus. Während das WSJ angibt, dass einige der Behauptungen durch eine deutsche Untersuchung bestätigt worden seien, äußern deutsche Geheimdienstmitarbeiter Zweifel an der tatsächlichen Verantwortung der Ukraine. Sie halten es für möglich, dass es sich um eine russische Operation unter falscher Flagge gehandelt haben könnte. Diese Ansicht wird von den polnischen Behörden geteilt, die dem deutschen Geheimdienst Namen russischer Verdächtiger übermittelt haben.
Die deutsche Staatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Ermittlungen bereits einen ersten Haftbefehl ausgestellt. Der Verdächtige, der in den Berichten als Wolodymyr Z. identifiziert wurde, soll sich inzwischen in die Ukraine abgesetzt haben. Weitere Verdächtige sind das Ehepaar Switlana und Jewhen Uspenska, Betreiber einer Tauchschule in der Ukraine. Beide bestreiten eine Beteiligung an den Anschlägen, da ihre Tauchausrüstung nicht für Tiefen von 80 Metern geeignet sei, wo sich die Explosionen ereigneten.
Die Enthüllungen des WSJ könnten weitreichende diplomatische Folgen haben. Deutschland, als wichtigster europäischer Empfänger von russischem Erdgas über Nord Stream, steht vor einem diplomatischen Dilemma. Sollte sich die Beteiligung der Ukraine bestätigen, würde dies die Beziehungen zu einem wichtigen Verbündeten im Konflikt gegen Russland belasten.
In Kiew wurden die Vorwürfe energisch zurückgewiesen. Ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten erklärte, die Anschuldigungen seien unbegründet und beschuldigte stattdessen Russland, hinter der Sabotage zu stecken. Die ukrainische Regierung betonte erneut, dass derartige Operationen nicht im Einklang mit ihrer Verteidigungsstrategie stünden.
Während die Ermittlungen weiterlaufen, bleibt unklar, wer letztendlich für die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich ist. Die widersprüchlichen Aussagen und die geopolitischen Spannungen machen es schwierig, die Wahrheit zu ermitteln. Doch eines steht fest: Die Explosionen, die im September 2022 die Energiekrise in Europa weiter verschärften, haben nicht nur die Versorgungssicherheit infrage gestellt, sondern auch das Vertrauen zwischen den beteiligten Nationen erschüttert.