Für Syrien nannte der stellvertretende Gesundheitsminister Ahmed Dhamirijeh im Staatsfernsehen 230 Tote und mehr als 600 Verletzte in mehreren Provinzen. Die Hilfsorganisation SAMS, die in von Rebellen kontrollierten Gegenden in Syrien arbeitet, meldete mehr als 100 weitere Tote.
In Syrien stürzten der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge in zahlreichen Städten Gebäude ein. Rettungsteams versuchten in der Nacht und im Morgengrauen, Menschen aus den Trümmern zu ziehen. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums Raed Ahmed sagte laut Sana, dies sei das stärkste Beben in Syrien seit 1995. Präsident Baschar al-Assad rief sein Kabinett zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Videos zeigten Trümmerberge unter anderem aus der Provinz Idlib, teils kollabierten ganze Häuserreihen. "Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmern liegen", sagte der Leiter der Rettungsorganisation Weißhelme, Raed Al Saleh. "Die Krankenhäuser sind überlastet mit Schwerverletzten", sagte ein Sprecher der Organisation. Regen und Kälte erschwerten die Einsätze zusätzlich. "Wir brauchen dringend die Hilfe der internationalen Gemeinschaft", sagte Basel Termanini, Vorsitzender der Syrian American Medical Society (SAMS). Die Lage sei "katastrophal".
In der Türkei stürzten mindestens 1700 Gebäude ein. Das Beben sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte Vize-Präsident Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In der Stadt Gaziantep wurde laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auch die Burg stark beschädigt. Sie ist ein Unesco-Weltkulturerbe. Menschen in der Türkei wurden aufgerufen, wegen der Kommunikationsengpässe online zu telefonieren und nicht über das Handy-Netz, damit vorrangig Verschüttete erreicht werden können. Die Temperaturen in den betroffenen Gebieten liegen zurzeit oft im Minusbereich. An manchen Orten schneite es stark. Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden. Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden.
Der türkische Halbmond rief die Bevölkerung zu Blutspenden auf. Die Katastrophenschutzbehörde Afad meldete 66 Nachbeben. Bilder in Diyarbakir zeigten, wie Helfer mit bloßen Händen versuchten, Schutt abzutragen, um Verschüttete aus einem eingestürzten Gebäude zu befreien. Auch im Libanon, der an Syrien grenzt, war das Erdbeben zu spüren. In der Hauptstadt Beirut verließen Anwohner teils fluchtartig ihre Häuser. Zu spüren war das Beben auch in Israel. Nach Angaben der israelischen Polizei gab es aber keine Verletzten oder Schäden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schrieb auf Twitter: "Wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam in kürzester Zeit und mit möglichst geringem Schaden überstehen."
Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu schicken. Auch Israel will der Türkei humanitäre Hilfe leisten. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant wies Armee und Verteidigungsministerium am Montag an, entsprechende Vorbereitungen zu treffen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zu, Deutschland werde selbstverständlich Hilfe schicken. "Mit Bestürzung verfolgen wir die Nachrichten vom #Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion", schrieb Scholz auf Twitter.
In Italien gab der Zivilschutz noch in der Nacht zu Montag eine Tsunami-Warnung aus, die wenige Stunden später zurückgenommen wurde. Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bot der Türkei und Syrien Hilfe an. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb auf Twitter, die Nato-Partner der Türkei seien bereit, Unterstützung zu mobilisieren. Das Auswärtige Amt in Berlin mahnte zur Vorsicht und riet, sich an die Anweisungen der örtlichen Behörden zu halten.
Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.
Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17 000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.
dp/pcl