Sollten die Bemühungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten scheitern, droht Israel mit einer Militäroperation in der Stadt Rafah während des Ramadans, der voraussichtlich am Sonntag beginnt. In Rafah im Süden des Gazastreifens suchen derzeit rund 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Zuflucht vor den Kämpfen in anderen Teilen des Gebiets. Israel versicherte, die Zivilisten vor einer Offensive in Sicherheit zu bringen. Israelische Beamte glaubten, dass der Anführer der islamistischen Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, an einer Einigung nicht interessiert sei, sondern hoffe, dass es zu einer Eskalation der Spannungen im Westjordanland und in Jerusalem während des Ramadans komme, berichtete das "Wall Street Journal". Ein Einmarsch in Rafah könne auch zu einem größeren Konflikt an Israels Nordgrenze zum Libanon führen, hieß es.
Ende Dezember hatte Südafrika Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen angeblich begangener Verstöße gegen die Völkermordkonvention verklagt. Das UN-Gericht verfügte in einem einstweiligen Entscheid, Israel müsse Schutzmaßnahmen ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern. "Angesichts der neuen Fakten und Veränderungen in der Lage in Gaza - insbesondere der weitverbreiteten Hungersnot -, die durch die andauernden ungeheuerlichen Verstöße" gegen die Konvention durch Israel verursacht würden, sehe sich Südafrika gezwungen, weitere vorläufige Anordnungen zu beantragen, hieß es am Mittwoch.
Mit Blick auf zunehmend schärferer Kritik auch aus anderen Ländern wegen der katastrophalen Versorgungslage in dem Küstenstreifen betonte die Regierung in Jerusalem am Mittwoch, es kämen derzeit mehr Hilfsgüter in den Küstenstreifen als vor Kriegsbeginn. "In den vergangenen zwei Wochen sind täglich durchschnittlich 102 Lebensmitteltransporte in den Gazastreifen gelangt. Das sind fast 50 Prozent mehr als vor dem Beginn des Krieges durch die Hamas am 7. Oktober", sagte Regierungssprecher Eylon Levy. Es gebe eine "Flut von Falschmeldungen, Israel würde die Menge der Hilfslieferungen beschränken. "Es gibt keine Beschränkungen. Ich wiederhole: keine", betonte der israelische Sprecher.
Großbritanniens Außenminister David Cameron sieht Israel jedoch in der Pflicht, mehr Hilfslieferungen zu ermöglichen. Bei einem Treffen mit dem israelischen Minister Benny Gantz habe er deutlich gemacht, welche Schritte Israel unternehmen müsse und wie besorgt Großbritannien über eine mögliche Offensive in Rafah sei, teilte Cameron am Mittwochabend auf X (früher Twitter) mit. "Ich habe Israel erneut gedrängt, den Fluss von Hilfsgütern zu erhöhen. Wir sehen noch immer keine Verbesserungen am Boden. Das muss sich ändern", teilte Cameron mit. Es brauche eine sofortige humanitäre Pause, mehr Kapazitäten für die Verteilung von Hilfsgütern und verbesserten Zugang über den Land- und den Seeweg.
Die Vermittler hatten zuletzt einen Vorschlag für eine sechswöchige Waffenruhe erörtert, während der die islamistische Hamas etwa 40 Geiseln - Frauen, Ältere und Kranke sowie fünf israelische Soldatinnen - im Austausch gegen etwa 400 palästinensische Gefangene freilassen würde. Bislang hätten sich die Gespräche auf eine erste Phase konzentriert, die die Freilassung dieser 40 von insgesamt noch etwa 100 Geiseln vorsehe, schrieb die "New York Times". Israelische Beamte hätten geglaubt, dass ein breiter Konsens darüber erreicht worden sei, doch dann habe die Hamas erneut weitergehende Forderungen erhoben.
Die Hamas wolle, dass Israel sich zu einem dauerhaften Waffenstillstand während oder nach drei Phasen der Geiselbefreiung verpflichtet, berichtete die "New York Times" weiter. Zudem bestehe sie auf Abzug der israelischen Truppen aus dem nördlichen Gazastreifen nach der dritten Phase der Geiselbefreiung und auf größere Hilfslieferungen. Es müsse garantiert werden, dass die Hälfte davon in den Norden Gazas geht, hieß es. Letztere Forderungen könnten noch zwischen Israel und der Hamas ausgehandelt werden, hieß es. Es gebe Streit darüber, ob Männer im kampffähigen Alter während der Waffenruhe in den Norden Gazas zurückkehren dürfen, den Israel abgeriegelt hat, berichtete das "Wall Street Journal" unter Berufung auf ägyptische Beamte. Ein israelischer Beamter habe jedoch bestritten, dass dies derzeit Teil der ausschließlich über die Vermittlerstaaten laufenden Verhandlungen sei.
Auslöser des Gaza-Krieges war genau vor fünf Monaten das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind bisher 30 717 Menschen in Gaza getötet worden. Bei der Zahl wird nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden.
Bei einem Angriff auf den Frachter "True Confidence" vor der Küste des Jemen kamen nach Angaben der US-Regierung Seeleute ums Leben. "Die Huthi haben unschuldige Zivilisten getötet, als sie ihre rücksichtslosen Angriffe auf die internationale Handelsschifffahrt fortsetzten, von denen Länder in aller Welt betroffen sind", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, am Mittwoch. Es ist Medienberichten zufolge das erste Mal, dass bei einem Angriff der Huthi Besatzungsmitglieder eines Handelsschiffs getötet wurden. Eine Zahl der Todesopfer nannte die Sprecherin nicht. US-Medien berichteten unter Berufung auf Regierungsvertreter von zwei Toten.
In den vergangenen Monaten hatte die Huthi-Miliz im Jemen immer wieder zivile Handelsschiffe ins Visier genommen. Sie agiert nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas und richtet ihre Attacken auf Frachter mit angeblicher Verbindung zu Israel, den USA oder Großbritannien. Sie hatte kürzlich angekündigt, ihre Angriffe zu intensivieren. Die USA und Großbritannien hatten als Reaktion auf die Angriffe mehrmals Militärschläge gegen Stellungen im Jemen durchgeführt. Auch die EU hat einen Militäreinsatz zum Schutz der Schifffahrt im Roten Meer gestartet, an dem sich Deutschland mit einer Fregatte beteiligt.