Belächelt wurde sie von anderen sozialdemokratischen Spitzenleuten, mittlerweile gilt die 62-jährige Informatikerin als eine der Garantinnen dafür, dass die SPD halbwegs geeint auftritt. Sie steht vor ihrer dritten Amtszeit, ihr 45-jähriger Kollege Klingbeil vor der zweiten. Es ist noch nicht allzu lange her, da saß alle paar Monate ein Neuer oder eine Neue im Parteichefbüro. So gesehen: schon eine Überraschung, und vielleicht sogar spannend. "Die Geschlossenheit und das Miteinander ist ein Erfolgsrezept", sagt Klingbeil.
"Wir haben nicht jeden Tag dieselbe Meinung, aber haben immer eine konsolidierte Meinung nach außen getragen", so formuliert es Esken. Es gebe eben Tandems, die nicht nur gut inszeniert, sondern echt seien, fällt Klingbeil noch ein.
Es mag eine Spitze gegen die Grünen sein: Annalena Baerbock und Robert Habeck, die sich als Parteichefs vor der Bundestagswahl über die Kanzlerkandidatur entzweiten. Aber auch bei der SPD finden sich Tandembeispiele: Die als innig verkaufte Zusammenarbeit zwischen Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat und Oskar Lafontaine als SPD-Chef endete kurz nach der Wahl 1998 mit Lafontaines Rückzug aus der Regierung und von der Parteispitze.
Was das Erfolgsrezept der SPD aktuell betrifft: Dass das auf ganzer Linie wirkt, lässt sich nicht behaupten. Die SPD hängt in den Umfragen zwischen 15 und 17 Prozent, deutlich hinter der Union und rund zehn Prozentpunkte unter ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021. In zwei Jahren wird wieder gewählt. "Meine Arbeit hat damit angefangen, dass wir uns vorgenommen haben, die Bundestagswahl zu gewinnen", sagt Esken. "Das ist auch jetzt unser Ziel." Das ist wieder die Abteilung: nicht so überraschend, zumindest nicht für eine Parteichefin.
Noch eine Personalsache, diesmal von Klingbeil: "Was den Bundeskanzler angeht: Natürlich wird er unser Kandidat." Der Spitzenkandidat also steht. Das Wahlprogramm steht noch nicht. Aber auf dem Parteitag Anfang Dezember soll es einen Vorgeschmack geben.
Die Modernisierung des Landes, Sicherheit und Arbeitsplätze sollen eine Hauptrolle spielen. Und in Anträgen für den Parteitag fordert die Parteispitze eine Reform der Schuldenbremse, um damit mehr Investitionen etwa in Klimaschutz und Digitalisierung zu ermöglichen. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer für sehr Reiche soll erhöht werden, die Einnahmen in die Bildungspolitik fließen. Zudem will die SPD den Mindestlohn anheben – notfalls erneut über eine politische Entscheidung, statt wie eigentlich vorgesehen über eine Einigung von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ziel ist außerdem, langfristig die Arbeitszeit zu verkürzen – ohne Lohnverlust.
Ließe sich alles auch noch in dieser Wahlperiode durchsetzen, bemerkte Klingbeil. Wenn die Koalitionspartner sich von den SPD-Plänen überzeugt zeigten, "da würden wir nicht Nein sagen". FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai weist aus seiner Parteizentrale schnell darauf hin, seine Partei halte an der Schuldenbremse und am Nein zu Steuererhöhungen fest. Die SPD-Vorstellungen "werden wir in dieser Koalition nicht umsetzen". Na ja, sagt Klingbeil. Die Liberalen hätten sich auch schon mal von einem höheren Mindestlohn überzeugen lassen.
Aber das ist wohl eher gerade ein kleineres Scharmützel im Vergleich zu dem, was Klingbeil als "eine der größten politischen Herausforderungen" bezeichnet – das Bemühen um gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stärke der in Teilen rechtsextremen AfD. "Es ist eine der größten Aufgaben, die Rechts-Extremen wieder kleinzukriegen", sagt Klingbeil. "Wir sind zu diesem Kampf bereit." Esken und Klingbeil müssen auf dem Parteitag noch im Amt bestätigt werden.