Es ist nicht der erste Gerichtsprozess dieser Art. Mindestens fünfmal stand Biontech schon wegen möglicher Impfschäden vor Gericht, seit es die Corona-Impfungen in Deutschland gibt. Erst vor wenigen Tagen wies das Landgericht Rottweil die Klage eines 58-Jährigen zurück, der behauptet hatte, nach der Impfung mit dem Biontech-Vakzin auf dem rechten Auge fast vollständig erblindet zu sein. Er verlangte von dem Mainzer Unternehmen 150.000 Euro Schmerzensgeld, doch das Gericht sah keinen Grund dafür.
Der Knackpunkt bei diesen Gerichtsverfahren ist: die Kausalität. Ist der Schaden wirklich ursprünglich auf die Corona-Impfung zurückzuführen? Oder sind die Beschwerden unabhängig davon zustande gekommen und stehen nur zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung?
Eine Definition für den Begriff "Impfschaden" findet sich in Paragraf 2 des Infektionsschutzgesetzes. Darin wird ein Impfschaden beschrieben als: die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.
Um zu verstehen, was ein Impfschaden ist, ist es wichtig, ihn von Impfreaktionen und Impfkomplikationen abzugrenzen. Impfreaktionen sind kurzzeitig auftretende Reaktionen auf die Impfungen. Zum Beispiel Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder Rötungen an der Einstichstelle. Diese Beschwerden sind ein Zeichen dafür, dass sich der Körper mit den Vakzinen auseinandersetzt. Nach wenigen Tagen klingen sie wieder ab.
Unter Impfkomplikationen werden wiederum alle unerwünschten Arzneimittelreaktionen zusammengefasst, die über die Impfreaktionen hinausgehen. Das können Herzmuskelentzündungen, Blutgerinnsel oder Gesichtslähmungen sein. Das Paul-Ehrlich-Institut hatte in seinen vergangenen Sicherheitsberichten immer wieder deutlich gemacht, dass derartige Impfkomplikationen in der Regel sehr selten sind.
Wenn man die Definition des Infektionsschutzgesetzes liest, könnte man schon Impfkomplikationen als Impfschäden werten. Schließlich gehen sie über die herkömmlichen Impfreaktionen hinaus. Tatsächlich spricht man aber erst dann von Impfschäden, wenn die Impfkomplikationen so gravierend sind, dass sie längerfristig anhalten und nicht von selbst wieder verschwinden. Das kann entsprechende "wirtschaftliche Folgen" haben, zum Beispiel in der Form, dass Betroffene nicht mehr arbeiten können.
Es gibt keine offiziellen Zahlen oder regelmäßigen Berichte zur Anzahl der gemeldeten Corona-Impfschäden. Deshalb lässt sich diese Frage nicht so leicht beantworten. Grundsätzlich sind für die Anerkennung von Impfschäden die Versorgungsämter in den Bundesländern zuständig. Welche das sind, hat die Nationale Lenkgruppe Impfen auf ihrer Internetseite aufgeschlüsselt.
Im Juni hatte eine Abfrage bei den Ämtern, durchgeführt von "Zeit Online", ergeben, dass von knapp 65 Millionen Geimpften in Deutschland rund 9000 einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt hatten – die meisten davon aus Thüringen. Das heißt: Einer von 10.000 Geimpften wollte einen Impfschaden anerkennen lassen. 3600 bundesweite Anträge waren bis dato bearbeitet, davon waren 379 Fälle anerkannt. Das entspricht einer Anerkennungsquote von rund elf Prozent.
Impfschäden sind grundsätzlich nach allen Impfungen möglich – auch nach Corona-Impfungen. Treten Beschwerden nach einer Impfung auf, zum Beispiel Atemnot oder Herzstechen, ist es unbedingt notwendig, einen Arzt beziehungsweise eine Ärztin aufzusuchen. Sie können die Symptome genauer einordnen, nach möglichen Ursachen suchen und Betroffene gegebenenfalls an Fachärztinnen und Fachärzte vermitteln.
Besteht der Verdacht, dass es sich um schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen der Impfung handelt, sind die Ärztinnen und Ärzte dazu verpflichtet, diese dem Gesundheitsamt zu melden. Die Gesundheitsämter übermitteln die Meldungen dann an das Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland die Sicherheit von Impfstoffen und Arzneimitteln überwacht.
Kann bei den ärztlichen Untersuchungen tatsächlich ein Impfschaden festgestellt werden, haben die Betroffenen Anspruch auf eine "Versorgung" gemäß des Bundesversorgungsgesetzes. Das können Leistungen für Reha und Kuren sein, Rentenzahlungen (je nach Schweregrad des Impfschadens) oder Hinterbliebenenversorgung in Form von Witwen- oder Waisenrente (wenn der Impfschaden für den Tod eines Familienangehörigen verantwortlich ist).
Den Impfschaden jedoch nachzuweisen ist Detektivarbeit. Nur sehr selten lassen sich Nebenwirkungen eindeutig auf eine Impfung zurückführen. Besteht der Verdacht eines Impfschadens, müssen Betroffene einen Antrag auf Entschädigung direkt bei den zuständigen Versorgungsämtern stellen. Der Antrag ist ein Fragebogen mit Fragen etwa zur ärztlichen Behandlung aufgrund des angeblichen Impfschadens, zu Familienkrankheiten und Vorerkrankungen.
Die Ämter prüfen dann, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die gesundheitliche Schädigung wirklich durch die Impfung verursacht wurde. Wenn ja, sind Entschädigungszahlungen möglich. Allerdings setzt eine Entschädigung voraus, dass die Impfung öffentlich empfohlen wurde, zum Beispiel durch die Ständige Impfkommission (Stiko). Auch hinter dem Post-Vac-Syndrom verbergen sich Langzeitfolgen der Impfung. Der Begriff hat sich vor allem während der Corona-Zeit etabliert.
Eine medizinisch definierte Bezeichnung ist das Post-Vac-Syndrom aber nicht, wie das Paul-Ehrlich-Institut anmerkt. "Unter dem Begriff werden nach den vorliegenden Erkenntnissen verschiedene, länger andauernde Beschwerden beschrieben, wie sie auch mit Long-/Post-Covid in Verbindung gebracht werden." Dazu zählen Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Atemnot, Herz-Kreislauf- und Bewegungsbeschwerden.
Außerdem ist nicht definiert, wie lange die Symptome anhalten müssen, um vom Post-Vac-Syndrom zu sprechen. Genaue Zahlen, wie viele Menschen am Post-Vac-Syndrom leiden, gibt es nicht – was auch der fehlenden Definition geschuldet ist. Zudem ist die genaue Ursache für die Beschwerden, die mit dem Post-Vac-Syndrom im Zusammenhang gebracht werden, noch nicht komplett verstanden. Für gewöhnlich treten nach der Corona-Impfung vor allem lokale Impfreaktionen auf. Schmerzen an der Einstichstelle zum Beispiel, Rötungen oder Fieber, die dann nach wenigen Tagen wieder verschwinden.
Während der Pandemie sind zwei verschiedene Impfstoffarten zum Einsatz gekommen: monovalente und bivalente Corona-Impfstoffe. Monovalente Corona-Impfstoffe sind auf eine einzelne Virusvariante abgerichtet, so wie die im Herbst eingesetzten, an die Omikron-Variante XBB1.5 angepassten Vakzine. Bivalente Corona-Impfstoffe sind wiederum gegen mehrere Virusvarianten gerichtet.
Und dann gibt es noch verschiedene Impfstofftypen: mRNA-, Vektor-, proteinbasierte und Ganzvirusimpfstoffe.
Eine Impfnebenwirkung, die bei monovalenten mRNA-Corona-Impfstoffen beobachtet wurde, waren verstärkte Menstruationsblutungen. Diese Beschwerden waren meist jedoch vorübergehend und nicht schwerwiegend.
In sehr seltenen Fällen kann es bei diesen Impfstoffen zu anaphylaktische Reaktionen, also allergischen Sofortreaktionen, kommen. Bei vergangenen Impfungen traten sie meist kurz nach der Impfung auf und konnten durch ärztliche Behandlung gestoppt werden.
Eine andere sehr seltene Nebenwirkung sind Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen. Diese Fälle traten in der Vergangenheit vor allem bei jüngeren Männern und Jungen auf – meist innerhalb von zwei Wochen nach der Impfung. Einzelne Studien würden das Risiko für Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen mit weniger als einem Fall pro 10.000 Geimpften beziffern, schrieb das Paul-Ehrlich-Institut in seinem im Juni erschienenen Sicherheitsbericht. Die meisten Fälle seien "mild bis moderat" verlaufen, erklärt die Bundeszentrale für politische Aufklärung (BZgA). Es gab jedoch auch schwere Verläufe und einzelne Todesfälle.
Ähnliche Beschwerden können auch bei den proteinbasierten Corona-Impfstoffen auftreten. Auch da wurden allergische Reaktionen sowie in wenigen Fällen Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen beobachtet.
Beim vektorbasierten Vakzin von Astrazeneca wiederum, das zu Beginn der Pandemie verimpft wurde (inzwischen ist es nicht mehr verfügbar), kam es neben den üblichen Impfreaktionen in seltenen Fällen zu Thrombosen, also Blutgerinnseln. Vor allem Hirnvenenthrombosen wurden beobachtet, zusammen mit einem Mangel an Blutplättchen.
Beim Ganzvirusvakzin "Valneva", das seit 2022 in Deutschland verfügbar ist, konnten bisher noch keine unerwünschten Nebenwirkungen festgestellt werden. Das kann aber auch daran liegen, dass der Impfstoff nicht so zahlreich verimpft wurde wie zum Beispiel die Vakzine von Biontech. Sehr seltene Nebenwirkungen kommen meist erst zum Vorschein, wenn viele Menschen mit dem entsprechenden Impfstoff geimpft sind. Ab Dezember soll der Impfstoff in Deutschland nicht mehr verfügbar sein, teilte die Kassenärztliche Bundesvereinigung kürzlich mit.
Es gibt einige Risikofaktoren bei Impfungen, zum Beispiel:
Mehrfachgebrauch von Einwegmaterialien wie Spritzen: Dadurch können Keime übertragen werden.
Falsche Dosierung: Wird zu viel Impfstoff verabreicht, kann es zu stärkeren Impfreaktionen kommen.
Verwechslung des Impfstoffes
Allergie gegen Bestandteile des Impfstoffs
Verimpfen von nicht zugelassenen oder geprüften Impfstoffen
Grundsätzlich stellt erst einmal jede Impfung ein Risiko dar. Schließlich ist es ein Eingriff in den Körper. Die Impfstoffe, die in Deutschland verimpft werden, sind jedoch mehrfach von unabhängigen Expertinnen und Experten geprüft worden, unter anderem von der Europäischen Arzneimittelbehörde Ema, und in klinischen Studien auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei Tausenden Freiwilligen getestet.
Sollte man vorsichtshalber auf die Corona-Impfung verzichten?
Nein. Langzeitschäden der Corona-Impfungen bleiben sehr seltene Ereignisse. Die Mehrheit der Geimpften entwickelt nur lokale Impfreaktionen, die nach wenigen Tagen wieder abklingen.
Die Corona-Impfungen sind auch weiterhin ein sehr gutes Mittel, um schweren Covid‑19-Krankheitsverläufen und Todesfällen vorzubeugen. Alle Erwachsenen ab 18 Jahren sollten mindestens zwei Impfungen, plus eine Auffrischungsimpfung oder Corona-Infektion haben, so empfiehlt es die Stiko. Risikopersonen wie Menschen ab 60 Jahren oder Immungeschwächte sollten weitere Auffrischungsimpfungen in Anspruch nehmen. Denn sie haben nach wie vor ein höheres Risiko, schwer zu erkranken, wenn sie sich mit dem Coronavirus infizieren.