Der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bescheinigte Merkel eine "beeindruckende politische Laufbahn". Merkel habe sich "unermüdlich für das Land eingesetzt", schrieb Scholz in einer Glückwunschbotschaft im Internetdienst X.
Auch der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel, der unter Merkel von 2013 bis 2018 Vizekanzler war, würdigte die Christdemokratin - und verband dies mit indirekter Kritik an ihrem SPD-Nachfolger Scholz. Merkels Abgang habe in Europa eine Leerstelle hinterlassen, die nicht wieder gefüllt worden sei, schrieb Gabriel in einem Gastbeitrag für den "Spiegel".
Merkels größte politische Leistung sei es gewesen, dass sie Europa "ein politisches Zentrum" gegeben und Europas Zentrifugalkräfte gebändigt habe. "Bis heute ist diese Rolle unbesetzt", schrieb Gabriel. Das Vakuum in der politischen Führung Europas nach dem Ende von Merkels Amtszeit werde "mit jedem Tag gefährlicher".
Der ehemalige SPD-Chef warf auch die Frage auf, ob es womöglich nie zum Ukraine-Krieg gekommen wäre, wenn Angela Merkel noch Kanzlerin wäre. "Ob Putin seinen furchtbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 gestartet hätte, wenn die Kanzlerin eine weitere Legislaturperiode regiert hätte, darf man mit einigem Recht bezweifeln", schrieb er. "Acht Jahre immerhin hat sie ihn daran gehindert."
Merkels Nach-Nachfolger an der CDU-Spitze, Armin Laschet, würdigte insbesondere das Wirken der früheren Kanzlerin in der Flüchtlingskrise 2015. Es stimme zwar, dass ihr der Satz "Wir schaffen das" auf die Füße gefallen sei, sagte Laschet den Sendern RTL und ntv. "Aber ein Kanzler, der sagen würde 'Ich schaffe es nicht', der könnte ja gleich sein Amt aufgeben."
Mit seiner Würdigung setzte sich Laschet von anderen Unionspolitikern ab, die Merkels liberale Flüchtlingspolitik inzwischen als Fehler einstufen. So schrieb CSU-Chef Markus Söder auf X, Merkel und die CSU hätten zu Beginn ein "wechselhaftes Verhältnis" gehabt - "vor allem in der Migrationspolitik gab es Differenzen". Dennoch gratuliere er Merkel zu einer "großen Lebensleistung".
CDU-Chef Friedrich Merz ließ die zahlreichen Differenzen, die er über die Jahre sein Verhältnis zu Merkel belastet hatten, in seiner Glückwunschnachricht unerwähnt. Merkel habe drei Jahrzehnte lang "die Politik unseres Landes geprägt", schrieb er auf X. Er freue sich auf den Festakt, den die CDU im Herbst für Merkel ausrichten werde. Die frühere Kanzlerin war seit Ende ihrer Amtszeit praktisch nicht mehr für die CDU in Erscheinung getreten, die sie fast 20 Jahre lang geführt hatte.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) würdigte Baerbock als "Stabilitätsanker" - und berichtete, dass sie gelegentlich den Rat der Ex-Kanzlerin suche. "Natürlich habe ich mit Frau Merkel in den letzten zweieinhalb Jahren immer mal wieder auch intensiv gesprochen", sagte Baerbock den Sender RTL und ntv. Sie schätze diese Gespräche "mit Blick auf die tiefen Umbrüche, die wir weltweit haben, aber auch mit Blick auf Ihre Erfahrung der letzten 16 Jahre, wo sie deutsche Außenpolitik intensiv geprägt hat".
Angela Merkel war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin der Bundesrepublik und von 2000 bis 2018 Vorsitzende der CDU. Am 17. Juli wurde sie 70 Jahre alt.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wurde sie als mächtigste Frau der Welt und de-facto-Führerin der EU gefeiert.
Doch wenn Angela Merkel heute ihren 70. Geburtstag feiert, wird es keine Versammlung von Würdenträgern geben, um ihr Vermächtnis zu würdigen. Stattdessen wird sie den Beginn ihres achten Lebensjahrzehnts „im Privaten“ feiern, sagte ein Sprecher ihres Büros der deutschen Nachrichtenagentur dpa.
Eine formellere Feier wird es am 25. September geben, allerdings nicht in der Zentrale ihrer Partei, der CDU, sondern im ehrwürdigen Ambiente der Berliner Akademie der Wissenschaften. Es wird keine Laudatio von Verbündeten geben, dafür aber einen Vortrag des Kunsthistorikers Horst Bredekamp zum Thema „Licht und Schatten in der Aufklärung“.
Das Thema könnte nicht passender sein für eine Politikerin, die ihre Verbindungen zur Welt der Politik auf eine Art und Weise abgebrochen hat, wie es nur wenigen ihrer Kollegen gelungen ist.
Als Merkel im Oktober 2018 ankündigte, dass sie am Ende ihrer vierten Amtszeit im Herbst 2021 in den Ruhestand gehen werde, gab es zahlreiche Spekulationen, sie könne ihre Autorität in eine Rolle wie die Führung der UNO einbringen. Andere meinten, sie könne dem Weg ihres Vorgängers Gerhard Schröder vom hohen Amt in die Lobbyarbeit folgen.
Stattdessen hat sich der Ex-Kanzler in die Welt der Künste zurückgezogen.
Das einzige große öffentliche Interview, das Merkel seit ihrem Rücktritt im Juni 2022 im Berliner Ensemble gab, war nicht mit einem politischen Kommentator oder einem der Reporter, die ihr während ihrer 16 Jahre an der Spitze der deutschen Politik gefolgt waren, sondern mit Alexander Osang, einem Romanautor und Spiegel-Kolumnisten, der für seine ironischen Beobachtungen über das alltägliche Leben bekannt ist.
In dem Interview verriet Merkel, dass sie die ersten Monate ihres Ruhestands damit verbracht habe, sich in William Shakespeares „Macbeth“ und Friedrich Schillers „Don Carlos“ zu vertiefen – und enttäuschte damit diejenigen, die von ihr verlangten, ihre Entscheidungen hinsichtlich der Rolle Deutschlands im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der Energiesicherheit oder der Einwanderung zu überdenken.
Im Mai dieses Jahres hielt Merkel in den Räumen der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung eine Trauerrede – allerdings nicht zu Ehren eines anderen Politikers, sondern des Schauspielers Ulrich Matthes, eines langjährigen Freundes der Kanzlerin, der im Ausland vor allem durch seine Rolle als Joseph Goebbels in dem Historiendrama „Der Untergang“ bekannt geworden ist.
Als sie im selben Monat tatsächlich einmal bei einer politischen Veranstaltung eine Rede hielt, war dies der Abschied eines ehemaligen politischen Gegners, des ehemaligen Grünen-Vorsitzenden Jürgen Trittin. Zum Leidwesen einiger Parteikollegen hatte sie sich bereits Tage zuvor vom CDU-Parteitag ferngehalten.
Der Spiegel kommentierte damals, dass sich die Rentnerin Merkel offenbar in einem Raum wohlfühle, in dem „Politik kaum eine Rolle spielt, in dem Unterschiede angesichts der lauten Einigkeit kaum Gehör finden“.
Meinungsverschiedenheiten und die Frage, ob manche Entscheidungen ihr Vermächtnis schädigen könnten, werden im Vordergrund stehen, wenn im November Merkels Memoiren mit dem Titel „Freiheit: Erinnerungen 1954–2021“ veröffentlicht werden, die gemeinsam mit ihrer langjährigen Beraterin und Kanzlerin Beate Baumann verfasst wurden.
Bis dahin wird sich der Siebzigjährige weiterhin hauptsächlich in gehobeneren kulturellen Sphären bewegen und in diesem Jahr gleichzeitig in mehreren Romanen und Fernsehserien fiktive Auftritte – oder Quasi-Auftritte – haben. In dem Roman „Herscht 07769“ des ungarischen Schriftstellers László Krasznahorkai, der 2022 auf Ungarisch erscheint und im September in Ottilie Mulzets englischer Übersetzung erscheinen soll, schreibt der Protagonist Merkel mehrere Briefe über ihre gemeinsame Leidenschaft für die Musik von Johann Sebastian Bach. Die Kanzlerin antwortet nie.
In „Miss Merkel“, einem Fernsehdrama, das im vergangenen März in Deutschland Premiere hatte und letzte Woche in Italien ausgestrahlt wurde, spielt die in Ostdeutschland aufgewachsene Politikerin eine zentralere Rolle. Die Serie zeigt Merkel, ihren Mann und ihren Mops, wie sie versuchen, ihren Ruhestand in der ruhigen Ebene der nordöstlichen Uckermark zu verbringen, nur um am Ende stattdessen Kriminalfälle aufzuklären.
Die Serie mit der erfahrenen deutschen Schauspielerin Katharina Thalbach in der Hauptrolle basiert auf zwei Romanen von David Safier, die in den letzten Jahren von Merkels Amtszeit veröffentlicht wurden. In der ersten Ausgabe der Bücher heißt Merkels Mops Putin, aber nach Russlands groß angelegter Invasion in der Ukraine hat Safier ihn in Pupsi (Furz) umbenannt. In der Fernsehserie heißt er Helmut, nach dem verstorbenen deutschen Regierungschef Helmut Kohl, der Merkels Mentor war.
Merkel sprach über ihre Nervosität in der Nähe von Hunden, nachdem sie als Kind selbst von einem Hund gebissen worden war. Und in dem in diesem Jahr in Deutschland erschienenen Roman „Doktor Garin“ des russischen Schriftstellers Vladimir Sorokin wird sie von ihrer Phobie noch bis in den Ruhestand verfolgt.
Der Film spielt in einem Sanatorium, in dem der titelgebende Arzt nicht nur Merkel, sondern auch den alternden und zunehmend verrückten Wladimir Putin, Donald Trump, Boris Johnson, Emmanuel Macron, Justin Trudeau und Shinzo Abe betreut, und zeigt, wie sie in ihren Träumen von bellenden Menschen gequält wird. Ein wahrer Albtraum, denn Schlaf ist „das Beste, was mir im Leben bleibt“.
Das könne doch nicht wahr sein, versucht Dr. Garin den pensionierten Powerplayer zu beruhigen: „Sie haben noch eine wunderbare Zukunft vor sich.“