Ende Oktober sind innerhalb von nur zehn Tagen sechs Frauen getötet worden – fünf mutmaßlich durch die Gewalt von Männern, die sie kannten. Der prominenteste Fall war der Mord an der 21-jährigen Wasserballtrainerin Lilie J., deren Leiche an ihrem Arbeitsplatz, einer teuren Privatschule im Zentrum von Sydney, gefunden wurde. Ihr vermeintlicher Peiniger war ein Kollege, ein junger Sportlehrer, mit dem sie zuvor eine gerade mal fünfwöchige Beziehung geführt hatte. Nachdem sie diese beendete, tötete der Mann sie – vermutlich aus verletzter Eitelkeit – auf brutalste Weise mit einem Hammer. Die Polizei konnte nur noch ihre Leiche in einem Badezimmer der Schule bergen. Der mutmaßliche Mörder stürzte sich wenige Stunden später von einer Klippe. Seine Leiche wurde einen Tag später gefunden.
Nur um wenige Tage versetzt wurde in einem Hotel in Perth die Leiche einer 34-jährigen Frau gefunden. Ein 42-jähriger Mann, der der Frau bekannt war, wurde mit Verletzungen aufgefunden, die er sich selbst zugefügt hatte. Er wurde behandelt und später festgenommen. Für die Rechtsanwältin dagegen kam jede Hilfe zu spät. "Alice hat ihr Leben lang versucht, Frauen zu helfen, die mit brutalen Familiengesetzen und häuslicher Gewalt zu kämpfen haben, nur um ihre eigene Zukunft zunichte gemacht zu bekommen", schrieb die Journalistin und Femizidforscherin Sherele Moody auf X (ehemals Twitter).
Ebenfalls im gleichen Zeitraum wurde im Bundesstaat Victoria eine Mutter leblos mit zwei unverletzten Kindern in ihren Haus vorgefunden. Sie wurde noch ins Krankenhaus gebracht, konnte aber nicht gerettet werden. Auch hier kannte das Opfer den vermeintlichen Täter persönlich. Ebenfalls Ende Oktober starb die 65-jährige Thi Thuy Huong N.. Ihr Ehemann steht unter Mordverdacht. Eine weitere Frau kam bei einem Hausbrand ums Leben – angeklagt wurde ein 48-jähriger Mann, der seit mehreren Monaten mit ihr zusammengelebt hatte.
Laut der Website Australian Femicide Watch sind allein in diesem Jahr bereits 58 Frauen gewaltsam ums Leben gekommen. Kate Fitz-Gibbon, Professorin am Monash Gender and Family Violence Prevention Center, nannte die jüngste Welle registrierter Todesfälle dann auch nur "die Spitze des Eisbergs". Das Ausmaß an Missbrauch, das Frauen und Kinder durch häusliche, familiäre und sexuelle Gewalt erleiden würden, sei "erheblich", meinte sie im Interview mit dem australischen Sender ABC. "Es ist eine nationale Krise", sagte sie.
Katherine Berney, Direktorin der National Women‘s Safety Alliance, schrieb in einem Meinungsstück im Internet, dass die Gewalt, "die wir in den letzten Tagen und Jahren erlebt haben, mehr als inakzeptabel" sei. "Wir alle müssen dazu beitragen, der Gewalt gegen Frauen und Kinder in diesem Land ein Ende zu setzen." Es brauche eine klare Führung mit Botschaften und Handlungsaufforderungen. "Im Moment brauchen wir keine Plattitüden wie ‚Das ist schrecklich, aber es wird gut. Wir arbeiten daran.‘"
Kritik gab es aber nicht nur an den Plattitüden, sondern auch an den Formulierungen, die nach derartigen Verbrechen häufig benutzt werden. So schrieb der ehemalige Direktor der Schule, in der die junge Wasserballtrainerin ermordet wurde, in einem Newsletter für seinen neuen Arbeitgeber, dass "der betroffene junge Mann nach jedermanns Einschätzung eine absolute Freude" gewesen sei. "Er war kein Monster; vielmehr beging er in den letzten fünf Stunden seines Lebens eine monströse Tat, die in völligem Widerspruch zu dem stand, was jeder, der ihn kannte, im Rest seines kurzen Lebens beobachtete", so John Collier. Kritiker wiesen im Nachgang jedoch darauf hin, dass eine derartige Sprache nicht hilfreich sei und das Verbrechen damit verharmlose.
Auch Empörung allein reicht in den Augen vieler schon lange nicht mehr aus: Denn letztere gab es auch in der Vergangenheit schon häufig. Als im Jahr 2012 die 29-jährige Jill Meagher auf dem Heimweg von einem Pub in Melbourne brutal vergewaltigt und ermordet wurde, trauerte das ganze Land. Die junge Frau war abends mit Kollegen ausgegangen, bevor sie sich entschied, zu Fuß nach Hause zu gehen, nachdem ihre Wohnung nur etwa 700 Meter entfernt war. Dort kam sie jedoch nie an. 2015 wiederholte sich diese Trauer: Damals wurde die Lehrerin Stephanie Scott eine Woche vor ihrer Hochzeit von einem Kollegen aus ihrer Schule ermordet. Damals posteten die Australierinnen Fotos ihrer eigenen Brautkleider im Internet, um die Gewalt gegen Frauen zu verurteilen. Doch ein wirklicher Wandel folgte nicht.
Aktuell hofft man, diesen Wandel mit einem konkreten Vorschlag zu erlangen: So wird diskutiert, ein nationales Register für Gewalt in der Familie einzuführen. In dieses könnten gewalttätige Personen eingetragen werden. Intimpartner, aber auch deren Familienmitglieder, sollen das Register auf Antrag einsehen dürfen, sollte es Warnsignale oder Anzeichen für Gewalt geben.