Bei der polnischen Parlamentswahl im Oktober war die PiS zwar stärkste Partei geworden, hatte ihre Regierungsmehrheit aber verloren. Drei proeuropäische Parteien der bisherigen Opposition unter Führung von Tusk errangen eine klare Mehrheit von 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm. Den Abschied von der Macht zögerte die PiS mit Hilfe von Präsident Andrzej Duda über knapp acht Wochen hinaus. Trotz der Mehrheitsverhältnisse im Parlament vergab Duda den Auftrag zur Regierungsbildung an Morawiecki und vereidigte dessen Kabinett. Von vornherein war absehbar, dass diese Regierung nur zwei Wochen im Amt bleiben würde.
Nach dem Scheitern Morawieckis steht nun die bisherige Opposition in den Startlöchern. Am Abend wollte das Parlament Tusk mit der Regierungsbildung beauftragen. Der 66-jährige Danziger will am Dienstag sein neues Kabinett vorstellen und ebenfalls die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Da Tusk die Mehrheit hinter sich hat, dürfte er aller Voraussicht nach bestehen.
Die Erwartungen an die neue Koalition sind hoch. Tusk hat eine Reihe von Maßnahmen versprochen, die darauf abzielen, die Auswirkungen der achtjährigen PiS-Herrschaft rückgängig zu machen. Die neue Regierung hat sich verpflichtet, die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen, die ihrer Meinung nach unter früheren Regierungen systematisch untergraben wurde. "Wir arbeiten … an einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die die Rechtsstaatlichkeit so weit wie möglich wiederherstellen werden", sagte Tusk.
Er hat außerdem zugesagt, die für Polen vorgesehenen EU-Mittel in Höhe von 36 Milliarden Euro freizugeben, deren Freigabe Brüssel aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit abgelehnt hat. Eine Gerichtsentscheidung aus dem Jahr 2020, die Abtreibungen in fast allen Fällen verbot, werde ebenfalls aufgehoben, sagte er, während der Schutz für LGBT-Personen gestärkt werde.
Aber =Tusk könnte bei der Umsetzung seiner Agenda auf Schwierigkeiten stoßen. Die Entscheidung von =Duda, Her=rn Morawiecki für die Bildung einer Regierung zu nominieren, ohne Hoffnung auf ein Vertrauensvotum zu haben, deutet darauf hin, dass der Präsident, der bis 2025 im Amt sein wird, die Pläne von =Tusk zunichtemachen will.
Um Gesetz zu werden, müssen vom Parlament verabschiedete Gesetzesentwürfe von =Duda unterzeichnet werden, der dagegen ein Veto einlegen kann. Die Koalition von =Tusk verfügt nicht über genügend Abgeordnete, um ein Veto des Präsidenten außer Kraft zu setzen.