Nach der russischen Invasion in der Ukraine wurden die Sitzungen des Arktischen Rates eingestellt. Ebenso die Zusammenarbeit mit Russland. Dies hat den Fortschritt in der Klima- und Umweltforschung behindert und die Militarisierung der Arktis vorangetrieben. Der Erfolg des Arktischen Rates hing von seinem geopolitischen Gleichgewicht ab. Sie ist kein Sicherheitsbündnis und hat stets versucht, unabhängig von der Politik zu bleiben. Fünf der acht Länder waren Teil der Nato, die anderen drei waren es nicht. Das hat sich nun geändert. Finnland ist im April der Nato beigetreten. Schweden befindet sich im Beitrittsprozess. Bald wird die Nato Russland in der Arktis buchstäblich umzingeln.
Um zu verstehen, warum dies wichtig ist, muss man zunächst den Klimanotstand verstehen, der in der Region herrscht. Das sommerliche Meereis ist in den letzten 30 Jahren um 30 % zurückgegangen, 90 % des alten Eises, das als fünf Jahre oder älter eingestuft wird, sind verschwunden. Dieses Eis fungierte einst als großer Hitzeschild für den Planeten und reflektierte die Sonnenstrahlen. Doch der Eisverlust führt zu einer Teufelskreis der Erwärmung. Die Arktis erwärmt sich mittlerweile dreimal schneller als der globale Durchschnitt. Dieser Vorgang wird als arktische Verstärkung bezeichnet. Das bedeutet, dass Wissenschaftler jetzt bis 2040–45 eine Arktis ohne Sommereis prognostizieren. Mit dem Verlust der Eisdecke entsteht eine transpolare Route, die Ostasien mit Europa und der Ostküste Nordamerikas verbindet. Und die Eisbarriere, die einst die Nordküste Russlands schützte, wird wie nie zuvor freigelegt. Auf Russland entfallen 53 % der arktischen Küste, und die Notwendigkeit, seine nördliche Grenze zu schützen, während die Eisbarriere schmilzt, ist ein zentrales Anliegen der nationalen Sicherheit.
Wladimir Putin hatte bereits ehrgeizige Pläne für die Nordseeroute und wollte den Frachtverkehr mehr als verdoppeln. Doch in den letzten sechs Jahren hat Russland entlang seiner Nordgrenze auch 475 Militärstandorte errichtet. Der Hafen von Seweromorsk auf der Kola-Halbinsel ist der Stützpunkt der Nordflotte des Landes. In den letzten Jahren haben die Russen 50 sowjetische Außenposten in der Arktis reaktiviert und ihre Nordflotte mit nuklearen und konventionellen Raketen ausgerüstet.
Die Herausforderung dabei war nicht nur logistischer Natur. Während der Permafrost auftaut, ist die strukturelle Basis für Straßen, Gebäude und andere wichtige Infrastrukturen zusammengebrochen. Russland versucht, riesige Mengen an Infrastruktur und militärischer Kapazität einzusetzen, um Strukturen auf zerfallendem Land und auf verschwindenden Straßen zu errichten. Im Dezember 2022 verabschiedete man ein neues Gesetz, das eine 90-tägige Benachrichtigung für jedes Kriegsschiff vorschreibt, das die nördliche Seeroute durchquert. Es wurde außerdem gesetzlich festgelegt, dass sich in diesen Gewässern nicht mehr als ein Kriegsschiff gleichzeitig aufhalten darf und dass jedes U-Boot in den Binnengewässern der Route auftauchen und seine Flagge zeigen muss.
Die jüngsten Erfahrungen im Pazifik deuten darauf hin, dass die USA oder die Nato versuchen werden, Schifffahrtsrechte im Rahmen der UN-Seerechtskonvention durchzusetzen. Dies ist grundsätzlich riskant. Russland könnte solche Versuche, die Schifffahrtsfreiheit zu erklären, als Provokation auffassen. Doch die Nichtdurchsetzung dieser Freiheiten birgt ein gegenteiliges Risiko: Ohne die Aufrechterhaltung einer Präsenz in der Region würden die Nato-Mitglieder zulassen, dass das neue russische Gesetz normalisiert wird. Ein sorgfältiger Balanceakt ist unerlässlich, um seine Präsenz aufrechtzuerhalten und nicht zuzulassen, dass Russland diese Region der Arktis als seine Privatdomäne abschottet.
Moskau sieht eine Ausweitung der Nato-Grenzen. Es hat Angst vor der Einkreisung. Die Erfahrung der Demütigung in der Ukraine hat diese Spannung noch verstärkt. Zwei Arktis-Brigaden wurden in die Ukraine entsandt, mit katastrophalen Folgen. Das norwegische Institut für Verteidigungsstudien schätzt, dass mehr als 1.000 Soldaten verloren gegangen sind. Da die konventionellen Landstreitkräfte Russlands in der Arktis erschöpft sind, wird der Kreml auf seine Marine- und U-Boot-Kapazität zurückgreifen. Das Potenzial, Unterwasserkabel und Pipelines zu beschädigen, ist ein Hebel, den Putin gegen seine Gegner einsetzen könnte.
Im Moment scheint es so, als ob Politiker nicht über den Ukraine-Krieg hinausblicken. Ein geschwächtes und verärgertes Russland ist kein Garant für eine stabile Weltordnung. Man hat bereits gesehen, wie Putin sich China zuwendet und die Arktis als Verhandlungsgrundlage nutzt, um diese Beziehungen zu stärken. Knapp einen Monat ist es her, dass die Küstenwachen beider Länder in Murmansk ein Memorandum über die Zusammenarbeit in der Arktis unterzeichnet haben. Chinas Preis für die Unterstützung Russlands im Fall der Ukraine könnte darin bestehen, dass es Marinezugang zu russischen Stützpunkten in der Arktis fordert.
Bei einem kürzlichen Besuch der internationalen Forschungsstation Ny-Ålesund auf Spitzbergen war es deprimierend zu hören, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland in Klimafragen praktisch eingestellt wurde. Die Arktis ist ein Umfeld, in dem Zusammenarbeit unerlässlich ist. Arktische Wissenschaft muss langfristig angelegt sein und die zwischen den Partnern aufgebauten Beziehungen und das Vertrauen bieten Vorhersehbarkeit und größere Stabilität. In einer Region, die immer stärker abgesichert ist, sollte jede Gelegenheit genutzt werden, um versehentliche Missverständnisse zu minimieren und eine militärische Reaktion zu vermeiden. Während des Kalten Krieges gab es zwischen der UdSSR und dem Westen einen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, der die Kommunikationskanäle offen hielt, als die politischen Temperaturen hochgingen.
agenturen/pclmedia