IOM zufolge stieg neben der Migration nach Italien auch jene nach Griechenland stark an - die aktuellen Zahlen seien aber nicht mit jenen sehr hohen von 2015 zu vergleichen. Die Ankünfte in Spanien lägen im Jahresvergleich dagegen auf ungefähr demselben Niveau. Laut Vereinten Nationen legten die meisten Migrantinnen und Migranten mit mehr als 100 000 aus Tunesien ab, gefolgt von Libyen mit mehr als 45 000. Neben Italien, Griechenland und Spanien steuerten die Boote auch Zypern und Malta an. Der starke Anstieg von Überfahrten hatte zuletzt zu Spannungen innerhalb der EU über Maßnahmen für ihre Begrenzung gesorgt.
Laut Menikdiwela seien die hohen Migrationszahlen aus Tunesien auch auf eine "Unsicherheit unter den Flüchtlingen nach Vorfällen rassistisch motivierter Angriffe und Hassreden" sowie kollektiven Abschiebungen aus Libyen und Algerien zurückzuführen. "Dies geschieht vor dem Hintergrund einer Verschlechterung der Sicherheitslage in mehreren Nachbarländern von nordafrikanischen Staaten."
In Europa gab die Bundesregierung derweil nach wochenlanger Blockade ihren Widerstand gegen ein Kernelement der geplanten EU-Asylreform auf. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Donnerstag bei einem EU-Treffen in Brüssel an, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP einem neuen Textvorschlag zur sogenannten Krisenverordnung zustimme. "Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf hätten und auch darüber hinaus, werden wir heute unserer Verantwortung gerecht", erklärte sie.
Zu einer formellen Einigung auf den neuen Text kam es allerdings nicht. Faeser sprach zwar im Anschluss an das Treffen von einer "politischen Einigung". Die spanische EU-Ratspräsidentschaft äußerte sich allerdings anders: Es gebe einige Details, die noch ausgearbeitet werden müssten, sagte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska. Das Regelwerk ist ein zentrales Element der geplanten EU-Asylreform, mit der unter anderem unerwünschte Migration begrenzt werden soll.
So soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. In Brüssel hatte die Bundesregierung ihre Ablehnung des Vorschlags für die Verordnung wochenlang damit erklärt, dass dieses Regelwerk EU-Staaten ermöglichen könnte, Schutzstandards für Migranten inakzeptabel zu senken.
Nach den Plänen für die Asylreform müssten die Mitgliedstaaten auch bei einem starken Anstieg der Migration alle ankommenden Menschen registrieren. Eine mögliche Verlängerung von Fristen dafür wäre zudem nur nach vorheriger Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten möglich.
Das Gleiche gilt auch für die Aufweichung von Schutzstandards. Es blieben demnach auch in einer Krisensituation noch etliche Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern. Die Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete die Entscheidung der Bundesregierung als "dramatisches Signal, dass Menschenrechte keine Rolle mehr spielen".
Grundlage der Ankündigung von Faeser war eine von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft leicht überarbeitete Version des ursprünglichen Vorschlags für die Krisenverordnung. Sie soll es vor allem den deutschen Grünen ermöglichen, die Zustimmung nicht als große Niederlage aussehen zu lassen.
Nach dem neuen Text der EU-Ratspräsidentschaft wurde so zum Beispiel eine Regel gestrichen, die es EU-Ländern erlaubt hätte, bei einem starken Zustrom von Menschen zeitweise von EU-Standards für materielle Unterstützungsleistungen und den Zugang zu medizinischer Versorgung abzuweichen. Zudem soll die Anträge auf Schutz von Minderjährige und ihren Familienmitgliedern auch in Krisensituationen bevorzugt geprüft werden.
Die geplante Asylreform soll möglichst rasch über die Bühne gehen. Denn die Zeit drängt: Im Juni nächsten Jahres ist Europawahl. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden und sich lange verzögern.
dp/fa