Die vielzitierte Brandmauer der etablierten Parteien gegenüber der Alternative für Deutschland (AfD) steht, aber nicht überall lückenlos. Dies geht aus einer aktuellen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) hervor, die das Abstimmungsverhalten in den Kommunalparlamenten ostdeutscher Bundesländer untersucht. Der Begriff "Brandmauer" bezieht sich auf die klare Absage etablierter Parteien an jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD – ein Grundsatz, der zunehmend unter Druck gerät.
Die Untersuchung der Forscher Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt und Florian Borchert erstreckt sich auf 2.452 Sitzungen von Mitte 2019 bis Mitte 2024 in Kreistagen und kreisfreien Städten in den ostdeutschen Bundesländern. Die AfD brachte in dieser Zeit 2.348 Anträge ein, wovon 80 Prozent keinerlei Unterstützung von anderen Parteien erhielten. In 20 Prozent der Fälle – rund 484 Anträge – wurde jedoch eine inhaltliche Kooperation mit der AfD nachgewiesen. Besonders bemerkenswert: In rund 10 Prozent der Fälle (244 Anträge) stimmten mindestens fünf Abgeordnete aus anderen Parteien den AfD-Vorhaben zu.
"Die Kommunalpolitik ist von der Suche nach Konsens geprägt. Da sind 20 Prozent Zustimmung nicht viel", betonte Studien-Co-Autor Wolfgang Schroeder in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Besonders deutlich wird: Die "Normalisierungstaktik" der AfD, die auf eine schleichende Integration in die politische Landschaft abzielt, scheint nicht aufzugehen.
Ein wichtiger Aspekt der Studie ist die regionale Differenzierung. So gibt es signifikante Unterschiede in der Zusammenarbeit mit der AfD je nach Bundesland. In Sachsen-Anhalt wurden 27 Prozent der AfD-Anträge unterstützt – der höchste Wert unter den untersuchten Regionen. In Sachsen waren es 22,4 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 19,4 Prozent und Brandenburg mit 18,3 Prozent. Thüringen, wo die AfD besonders stark auftritt, liegt mit 16 Prozent am unteren Ende der Kooperationsskala.
Die Forscher fanden auch heraus, dass die Themen, die von der AfD eingebracht werden, einen entscheidenden Einfluss auf die Zustimmung anderer Parteien haben. Anträge zu Verkehrsthemen erhielten vergleichsweise häufig Unterstützung, während Anträge zu Asyl, Migration und Sicherheit überwiegend abgelehnt wurden. "Die Kommunalpolitiker können offenbar gut unterscheiden, wann sie ausnahmsweise mit der AfD stimmen und wann nicht", so Schroeder.
Besonders auffällig in der Studie ist Thüringen, wo die AfD zuletzt bei Landtagswahlen erheblich an Stimmen gewinnen konnte. Mit nur 16 Prozent Zustimmung zu AfD-Anträgen ist Thüringen das Schlusslicht der Kooperationen. Das politische Klima in diesem Bundesland ist von einem starken Rechtsruck geprägt, doch die etablierten Parteien halten hier offenbar strikter an der Brandmauer fest als in anderen Regionen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) kritisierte jüngst die Migrationsdebatte in Deutschland scharf und warnte vor einem "Überbietungswettbewerb der Abschreckung", der das politische Klima weiter vergiften könnte.
Die Ergebnisse der Studie kommen zu einem kritischen Zeitpunkt: In einer Woche findet die Landtagswahl in Brandenburg statt, wo die AfD in aktuellen Umfragen vorne liegt. Mit einem prognostizierten Stimmenanteil von 29 Prozent könnte die rechtsextreme Partei erstmals stärkste Kraft in einem ostdeutschen Bundesland werden. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke steht unter erheblichem Druck, seine Koalition aus SPD, CDU und Grünen zu verteidigen. Sollte die SPD nicht mehr als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen, hat Woidke bereits angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen.
Die Wahl in Brandenburg könnte richtungsweisend für die politische Zukunft der Region sein. Besonders brisant: Die AfD hat bereits bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen massive Zugewinne erzielt, was das politische Establishment alarmiert.
Parallel zur politischen Auseinandersetzung mit der AfD steht die Frage der Migration und des Fachkräftemangels weiterhin im Fokus der deutschen Politik. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte kürzlich die Notwendigkeit, qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Erst am Freitag wurde ein Abkommen mit Kenia unterzeichnet, um dringend benötigte Fachkräfte nach Deutschland zu holen. "Dies kann uns helfen, den Fachkräftemangel auszugleichen", sagte Scholz. Ähnliche Vereinbarungen bestehen bereits mit Indien, Georgien und Marokko, und ein weiteres Abkommen mit Usbekistan soll in Kürze folgen.
Die WZB-Studie zeigt, dass die Brandmauer zur AfD auf kommunaler Ebene zwar Risse aufweist, aber insgesamt stabil bleibt. Die etablierten Parteien sind überwiegend entschlossen, eine Kooperation mit der AfD zu vermeiden, auch wenn es in einigen Regionen und bei bestimmten Themen immer wieder zu Ausnahmen kommt. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und der Erfolge der AfD in anderen ostdeutschen Bundesländern steht Deutschland vor einer schwierigen politischen Bewährungsprobe. Ob die Brandmauer auch auf Landesebene halten wird, bleibt abzuwarten.