"Ich habe absolut keinen Zweifel, dass Morawiecki die Vertrauensabstimmung verlieren wird", sagt Max Brändle, der das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Warschau leitet. "Dieser Versuch einer Regierungsbildung ist völlig aussichtslos und soll nur den Machtwechsel verzögern", so Brändle.
Bei der Wahl im Oktober wurde die PiS-Partei zwar stärkste Kraft, verpasste aber die notwendige Mehrheit. Eine Koalition aus drei proeuropäischen Oppositionsparteien unter Führung des früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk ging stattdessen als Sieger der Parlamentswahl hervor. Sie hat bereits einen Koalitionsvertrag ausgearbeitet und Minister aufgestellt – und könnte jederzeit mit der Arbeit beginnen. Tusk war bereits von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef.
FES-Experte Brändle glaubt, wenn Morawiecki die Mehrheit im Parlament verfehle, werde Tusk umgehend die Initiative ergreifen und seine Regierung vorstellen. "Die neue proeuropäische Regierung steht sozusagen sofort bereit." Er rechnet damit, dass der Machtwechsel dann sehr schnell vollzogen werde.
Beobachter sprechen von einem einzigen Theater, das die PiS und der abgewählte Morawiecki aufführen. Dass die "Zwei-Wochen-Regierung" eine Zukunft über Dezember hinaus hat, glaubt niemand. Nicht einmal Morawiecki selbst. Am Wochenende räumte er ein: Die Chance, das Vertrauensvotum zu überstehen, schätze er auf 10 Prozent. In den vergangenen Wochen hatte die PiS vergeblich versucht, Abgeordnete anderer Parteien von einer Koalition zu überzeugen.
Dennoch hat Morawiecki nun ein neues Kabinett präsentiert. "Die Regierung wird deutlich kleiner, es werden ihr viele Frauen angehören, sie wird aus Politikern und Experten bestehen", sagte der 55-Jährige. Der Chefinspektor für Straßenverkehr soll Infrastrukturminister werden, der bisherige EU-Minister künftig Außenminister und ein Staatssekretär aus dem Justizministerium neuer Justizminister.
Dass sich Polens Präsident Duda auf dieses Spiel überhaupt eingelassen hat, liegt Brändle zur Folge an seiner alten Verbundenheit zur PiS. Bevor Duda Präsident wurde, gehörte er selbst der PiS an und ist ihr programmatisch bis heute eng verbunden geblieben. Für viele in der PiS sei es undenkbar, als stärkste Kraft und sozusagen Wahlgewinner nicht auch die Regierung zu stellen, so Brändle. "Dass diese Wahl für die PiS eine Niederlage ist, werden viele erst bei der Vertrauensfrage realisieren, wenn die PiS-Regierung krachend scheitert." Der Wechsel von der Regierungs- zur Oppositionspartei und der damit einhergehende Machtverlust benötige Zeit und die wolle Duda der Partei geben.
Dass die PiS den Machtwechsel in Polen hinauszögert, könnte noch weitere Gründe haben: Polnischen Medien zufolge würden in den Ministerien viele Daten aus der vergangenen Regierungszeit vernichtet. Zudem profitieren die Minister von einer Abfindung, auch wenn sie nur zwei Wochen im Amt waren. 17.800 Złoty, umgerechnet etwas mehr als 4000 Euro, erhält jeder.
In Polen verfolgen die Menschen gespannt den Machtwechsel, überhaupt sei das politische Interesse gerade hoch, beobachtet Brändle. Das liegt auch an Szymon Holownia, einem früheren TV-Moderator und heutigen Shootingstar der polnischen Politszene. Als neuer Parlamentspräsident will er dem politischen Theater der PiS und ihrer Politiker ein Ende bereiten. "Strengen Sie Ihren Intellekt an. Beleidigen muss man können", forderte er jüngst Abgeordnete auf.
Die polnische Vizepräsidentin des EU-Parlaments Ewa Kopacz erklärte: "Schade, dass diese unlustige Komödie bis zu zwei Wochen dauern wird und dem Image unseres Landes schaden wird. Sowohl die Polen als auch unsere ausländischen Partner warten auf eine Regierung, die einen echten Einfluss auf die Situation im Land haben wird."
Viele Polen waren bei der vergangene Wahl zum ersten Mal an der Urne und verfolgen jetzt sehr gespannt die Debatten im Parlament. "Die politischen Debatten haben gerade einen hohen Unterhaltungswert und viele Polen wollen die PiS scheitern sehen", sagt Brändle. Die Menschen würden von der neuen Regierung schnelle Ergebnisse erwarten. Doch die PiS hat seit 2015 mit ihrer absoluten Mehrheit Polen grundlegend verändert, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit systematisch abgebaut und die Polarisierung im Land angefeuert. Die Justiz wurde unter Kontrolle der Regierung gestellt, öffentlich-rechtliche Medien zu Instrumenten staatlicher Propaganda umstrukturiert. Gegen queere Menschen und Migranten hetzen PiS-Politiker unverhohlen.
Die neue Regierung steht somit vor einer Vielzahl an Aufgaben. "Erste Schritte zur Wiederherstellung der Demokratie und der Unabhängigkeit der Justiz dauern aber mindestens ein halbes Jahr", schätzt Brändle daher. Er ist sich sicher: Die PiS werde jede Gelegenheit nutzen, um gegen die neue Regierung Stimmung zu machen.