Scholz sagte in einem TV-Interview Ende Juni: "80 Prozent der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen – und da meine ich jetzt nicht die ukrainischen Flüchtlinge, sondern die übrigen – sind nicht registriert." In dem Zusammenhang kritisierte der Kanzler das Dublin-Verfahren, welches regelt, dass jener EU-Staat für einen Flüchtling verantwortlich ist, in dem dieser die EU zuerst betreten hat.
Scholz bezog sich bei einer Aussage auf das "Verhältnis zwischen der Anzahl der Asylerstanträge im Jahr 2022 (217.774) und der Zahl der Eurodac-Treffer im Jahr 2022 (49.834)", heißt es laut "Süddeutsche Zeitung" (SZ) in der Antwort. Das Eurodac-System ist eine EU-Datenbank, in der Fingerabdrücke von Asylsuchenden sowie von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen aus Nicht-EU-Ländern gespeichert werden, um sie zwischen den Mitgliedsstaaten auszutauschen. Genauer gesagt, gab es also für etwa 77 Prozent der Anträge keinen Treffer in der Datenbank.
Allerdings liegt das weniger daran, dass die Menschen unregistriert durch Europa gereist sind. Es handelt sich vielmehr um Personen, bei denen gar keine Eurodac-Treffer zu erwarten sind. Aus der Antwort der Bundesregierung geht weiter hervor, dass zehn Prozent (24.791) aller 244.132 Asylanträge im vergangenen Jahr auf Kinder entfielen, die in Deutschland geboren wurden. 29.840 Menschen reisten mit einem Visum, 27.852 Personen kamen visafrei nach Deutschland. Zudem sind 72.384 der Antragsteller Kinder. Sie werden grundsätzlich nicht im Eurodac-System erfasst.
Die Linken-Abgeordnete Bünger kritisierte, dass es in der Asyldebatte viele Fehlinformationen gebe. Besonders schlimm sei dies aber, wenn der Bundeskanzler "persönlich falsche Zahlen" verbreite: "Es ist eben nicht so, dass 80 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland in einem anderen EU-Land mit einem Asylantrag hätten registriert werden müssen. Nach den Angaben der Bundesregierung sind es vermutlich nicht einmal die Hälfte dieser Größenordnung", zitierte die "SZ" die Linken-Politikerin. "Der Kanzler sollte das öffentlich richtigstellen."
Einig sind sich Bünger und Scholz dennoch in einem Punkt: Das Dublin-System müsse einem besseren Konzept weichen. Es sei absurd, das "im Kern ungerechte und unmenschliche Dublin-System" weiter durchzusetzen, sagte Bünger weiter. Es brauche stattdessen "ein grundlegend anderes, solidarisches System".