Am Anfang der Ampel war der Aufbruch. Als Kanzler Scholz Mitte Dezember 2021 seine erste Regierungserklärung im Bundestag abgab, kam dieses Wort zehn Mal vor, Fortschritt sogar 31 Mal. Die Ampel wollte sich damals als Reformbündnis präsentieren, das die großen Zukunftsthemen anpackt: den Kampf gegen die Erderwärmung, den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Außerdem stand damals noch der Kampf gegen Corona im Vordergrund. An Krieg dachte noch niemand so richtig. Die Ukraine kam in der Regierungserklärung des Kanzlers mit der Rekordlänge von 86 Minuten kein einziges Mal vor.
Die Aufbruchsphase dauerte 82 Tage. Dann katapultierte der russische Angriff auf die Ukraine die Ampel in eine neue Realität. Mit seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag vollzog Kanzler Scholz am 27. Februar 2022 - drei Tage nach Kriegsbeginn - einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik, brach mit den Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg ein Tabu und kündigte die massive Aufrüstung der Bundeswehr an.
Die Krise schweißte die Koalition zusammen, auch wenn es Friktionen gab - etwa beim Tempo der Waffenlieferungen. Die Koalition schaffte es vor allem, die befürchteten Engpässe bei der Energieversorgung abzuwenden. Deutschland kam allen düsteren Szenarien zum Trotz ganz gut über den Winter. Zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns im Februar 2023 sah das Image der Koalition dann auch noch ganz ordentlich aus. Selbst die ukrainische Regierung beschwerte sich nach der Bereitstellung von Leopard-2-Kampfpanzern nicht mehr über die zögerlichen Deutschen. Die Bundesregierung richtete ihren Blick nach innen.
Der Kanzler begann seine Erzählung von mehr Zuversicht, die großen Zukunftsthemen sollten endlich beherzt angepackt werden. Die Kurve vom Krisen- in den Gestaltungsmodus bekam die Koalition aber nicht besonders gut. Es begann zu knirschen und dann zu krachen. Das Heizungsgesetz wurde zum Symbol für Uneinigkeit, Indiskretion und massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung.
Das Ergebnis ist, dass die Umfragewerte der Ampel zur Halbzeit der Legislaturperiode ziemlich tief im Keller sind. Bei der Bundestagswahl 2021 kamen SPD, Grüne und FDP zusammen noch auf 52 Prozent. In den aktuellen Umfrage von acht Instituten liegen sie heute im Durchschnitt bei 37,7 Prozent und damit weit von einer Mehrheit entfernt. 72 Prozent der Deutschen sind nach einer YouGov-Erhebung von August unzufrieden mit der Arbeit der Regierung in der ersten Halbzeit der Wahlperiode. 68 Prozent trauen ihr nicht zu, die drängenden Probleme des Landes zu lösen. Und an die von Scholz angestrebte Wiederwahl der Ampel-Koalition bei der Bundestagswahl 2025 glauben nur noch 18 Prozent.
Das alles passt allerdings nicht mit dem Urteil einer großangelegten Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Umsetzung des Koalitionsvertrags zusammen. Der Ampel-Regierung sei ein "insgesamt sehr guter Start gelungen", lautet das Fazit der Autoren. Von den 453 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag seien knapp zwei Drittel (64 Prozent) entweder umgesetzt (38 Prozent) oder auf den Weg gebracht (26 Prozent). Im Vergleich zur Vorgängerregierung habe die Ampel damit anteilig zwar etwas weniger geschafft, die absolute Zahl der bereits angegangenen Regierungsvorhaben liege aber höher.
Ist die Ampel also doch besser als ihr Ruf? Der öffentliche Umgang miteinander scheint jedenfalls eins der größten Probleme der Regierung zu sein. Vizekanzler Robert Habeck hat das einmal so ausgedrückt: "Wir versauen es uns permanent selbst. Und das ist natürlich auf Dauer kein Erfolgsgeheimnis."
Für die zweite Halbzeit haben sich die Koalitionäre bei ihrer Sommerklausur auf Schloss Meseberg bei Berlin nun das Regieren mit Schalldämpfer vorgenommen, wie Kanzler Scholz es genannt hat. Ob der gute Vorsatz hält, wird man schon im Oktober sehen, wenn Landtagswahlen in zwei der bevölkerungsreichsten Bundesländer anstehen. In Bayern und Hessen kratzt die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde. Schon bei früheren Wahlschlappen auf Landesebene hat sie anschließend erstmal Luft in Berlin abgelassen.
Auch für die SPD kann es ungemütlich werden. Eine krachende Niederlage in Bayern mit einem möglicherweise wieder einstelligen Ergebnis ist zwar eingepreist. Sollte aber auch Scholz' Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in Hessen deutlich scheitern, könnten die Sozialdemokraten nervös werden. Bayern und Hessen sind nur der Auftakt zu einer Serie von Wahlen, die die zweite Hälfte der Wahlperiode prägen werden. Am 9. Juni 2024 ist Superwahltag mit der Europawahl und Kommunalwahlen in neun Bundesländern. Im September folgen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen drei Ländern liegt die AfD in Umfragen inzwischen weit vorne bei mehr als 30 Prozent.
Bereits jetzt bestimmt der Höhenflug der rechten Partei zu einem großen Teil die politische Debatte in Berlin. Kanzler Scholz wird zwar nicht müde zu prognostizieren, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht stärker als bei der letzten mit 10,3 Prozent wird - was einer Halbierung ihrer derzeitigen Umfragewerte gleichkommt. Daran wagen aber selbst die größten Optimisten in seiner eigenen Partei kaum zu glauben.
Die bestimmenden Themen der zweiten Hälfte der Wahlperiode dürften jedenfalls die Bewältigung der Wirtschaftsflaute, die Befreiung des Landes von der überbordenden Bürokratie aber auch der Umgang mit den wachsenden Migrantenzahlen werden. Was auf diesen Feldern erreicht wird, dürfte auch über das Schicksal der Ampel entscheiden. Der Bundestagswahlkampf 2025 hat jedenfalls längst begonnen.
dp/fa