Damals, gegen 11 Uhr, begann das Drama um Michael Schumacher, sein Überlebenskampf. Und mit ihm die Zeit der Stille. Denn Informationen über Michael Schumachers Befinden gibt es kaum. Und das soll auch so sein. Das sieht auch NDR-Reporter Jens Gideon so, der für seine fünfteilige Podcast-Reihe "Schumacher. Geschichte einer Ikone" mitunter dort auf Spurensuche ging, "wo das Schicksal damals so gnadenlos zugeschlagen hat". Er sagt klar: "Natürlich würde ich gerne wissen, wie es Schumacher geht. Aber ein Recht, es zu wissen, habe ich nicht." Und auch das soll vorab klar sein: "Darum geht es in diesem Podcast nicht."
Sport-Reporter Gideon begleitete das Formel-1-Idol jahrelang. Aber Schumacher bedeutet mehr für den Journalisten: "Ja, ihr dürft mich Fan nennen. Ich nehme euch quasi mit an meine Posterwand. Nur weil es ihn gibt, wollte ich Formel-1-Reporter werden." Gideon begleitete Schumacher um die halbe Welt, war in Momenten des Triumphs und in Augenblicken der Niederlagen an seiner Seite. Jedoch habe Schumacher stets eine "klare Mauer" zwischen den Rennfahrer und den Privatmenschen gebaut. Gideon: "Ich kenne den Star 'Schumi', aber ich will 'Schumacher' kennenlernen."
Für seine fünf Podcastfolgen recherchierte Gideon mit Fingerspitzengefühl. Er sprach mit Schumachers Bruder Ralf und Schumis Sohn Mick, ebenso aber mit Mama Rosella, Schumis liebster Nudelköchin aus Fiorana. Er traf Smudo von den Fantastischen Vier, Schumis "Erben" Sebastian Vettel, Schumi-Fans wie Dirk Nowitzki, Franziska van Almsick oder Bastian Schweinsteiger. Und auch André, einen Skilehrer aus dem französischen Alpen-Skiort Meribel, der rasch am Unfallort war.
"An so einem Tag fährt man da nicht rein": Ein belgischer Journalisten-Kollege von Gideon, schüttelt jedes Mal den Kopf, wenn er an der Unfallstelle vorbeischaut, was er oft tut. Es war Anfang der Skisaison und es hatte wenig Schnee, erinnert er sich. Wegen einer dünnen Schicht Neuschnee in der Nacht seien die Felsbrocken in dem Steinfeld leicht verdeckt gewesen. "Es war klar, dass zu wenig Schnee lag."
Es sei damals alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte, so die Einschätzung des Kollegen. Schumacher kannte demnach das Skigebiet wie seine Westentasche, er hatte mit seiner Familie ein Chatel nahe der Piste. André, der Skilehrer, der nach den Ersthelfern eintraf, hörte sich um: Schumacher blieb wohl mit einem Ski an einem Stein hängen und knallte mit dem Kopf auf einen anderen.
In der Auftaktfolge "Fahrt in die Dunkelheit" steht im Fokus, wie um Schumachers Leben gekämpft wurde und darum, dass sensationslüsterne Journalisten nicht das Klinikum in Grenoble stürmten. Wie nach dem Kampf um sein Leben der Kampf um seine Würde begann, wie Gideon es formuliert. Wie die Familie Schumacher die Maxime aufrechterhielt, die Schumacher immer angewandt hatte: Was privat ist, ist privat.
Wie berichtet man über etwas, über das es wenig offiziell zu berichten gibt? Gideon schafft es, spannend, aber nicht effekthascherisch das Thema aufzubereiten. Er ist Journalist und bietet Informationen, auch selten gehörte, aber er ist auch Mensch. "Es gibt keinen Anspruch darauf, dabei sein zu dürfen, wenn einem der Schädel geöffnet wird", macht auch sein Interviewpartner, Podcaster und Schumi-Fan Tommi Schmitt ("Gemischtes Hack"), klar.
In den weiteren Folgen geht es um den Aufstieg des Kinderkart-Fahrers zum größten Rennfahrer der damaligen Zeit, es geht um viel Talent und noch mehr Ehrgeiz. Es geht um sein Vermächtnis und um die vielen, vielen auch prominenten Fans. Aber es geht nicht um Schumachers Gesundheitszustand. Der ist ungewiss, die Familie schottet ihn ab. Seine Frau Corinna sagte in einer Netflix-Dokumenation 2021: "Michael hat uns immer beschützt. Jetzt beschützen wir ihn."
Wie es Formel‑1-Legende Michael Schumacher nach seinem schweren Skiunfall geht, wissen nur engste Angehörige und Freunde. Sein Anwalt sprach Ende Oktober darüber, warum die Familie das Geheimnis um seinen Gesundheitszustand auch nach so langer Zeit um jeden Preis hütet. Schumacher lebt seit einem schweren Skiunfall im Jahr 2013 völlig zurückgezogen. In einem Interview spricht der Anwalt der Familie, Felix Damm, darüber, warum die Angehörigen des früheren Rennfahrers nichts über seinen Gesundheitszustand preisgeben.
"Es ging immer darum, Privates zu schützen", begründet Damm in dem Interview mit "Legal Tribune Online", einem Onlinemagazin zu rechtlichen Themen, die Strategie der Familie. "Wir haben auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten dann permanent aktualisierte ‚Wasserstandsmeldungen‘ erfolgen müssen." Als Betroffener habe man es nicht in der Hand, den Medien damit einen Schlussstrich zu verordnen.
Bereits unmittelbar nach dem Unfall sei der Druck der Öffentlichkeit, mehr über den Gesundheitszustand Schumachers zu erfahren, extrem groß gewesen: "Ich habe das Bild von den zahlreichen Journalisten und Fotografen noch im Kopf, die nach dem Unfall noch tagelang vor dem Krankenhaus in Grenoble auf Informationen warteten", sagte Damm in dem Interview. Um "den Druck rauszunehmen", seien damals in Pressemeetings, bei denen auch die behandelnden Ärzte dabei waren, erste allgemeine Auskünfte über die Verletzungen gegeben worden. "Das waren also eigentlich Inhalte, die thematisch der Privatsphäre zugeordnet werden. Das war tatsächlich neu. Denn Auskünfte über Privates waren bis dahin eigentlich komplett tabu", so der Anwalt, der Schumacher seit 2008 vertritt.
Damm glaubt auch, "dass die allermeisten Fans gut damit umgehen können und es auch respektieren, dass durch den Unfall ein Prozess in Gang gesetzt wurde, bei dem der private Schutzraum notwendig ist und jetzt weiterhin beachtet wird".
Wie weit spekulative Berichte über den Gesundheitszustand in Medien gehen, zeigte auch ein Fall im April: Die Illustrierte "die aktuelle" veröffentlichte ein Cover mit einem Foto des früheren Formel‑1-Weltmeisters und der Überschrift "Michael Schumacher: Das erste Interview!". Darunter prangte die kleinere Unterzeile "Es klingt täuschend echt". Im Innenteil klärte die Zeitschrift dann auf: Das Interview mit Schumacher stamme von einer Internetseite, "die mit Künstlicher Intelligenz, kurz KI genannt, zu tun hat". Nach massiver Kritik an der Berichterstattung trennte sich die Funke-Mediengruppe von der Chefredakteurin der Illustrierten.
Mit Blick auf den Fall sagte Damm, es erstaune ihn, "wie sehr man aus Null-Information vermeintliche Storys stricken kann".