Baerbock äußerte Kritik an Regierungschef Netanjahu, ohne ihn namentlich zu nennen. Mit Blick auf die Zweistaatenlösung betonte sie: "Selbst diejenigen, die davon nichts wissen wollen, haben bisher keine andere Alternative auf den Weg gebracht." Zentral sei es nun, deutlich zu machen, dass Israel nur in Sicherheit leben könne, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit und in Würde leben könnten. Gleichzeitig gelte, dass Palästinenserinnen und Palästinenser nur in Würde, Sicherheit und Freiheit leben könnten, wenn Israel in Sicherheit lebe.
Ähnlich äußerten sich auch etliche andere Ministerinnen und Minister und kritisierten Netanjahu. Dieser hatte am Wochenende erneut deutlich gemacht, dass er eine Zweistaatenlösung nach dem Ende des Gaza-Krieges ablehnt. "Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht - und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat", schrieb er auf X.
Der französische Außenminister Stéphane Séjourné bezeichnete die Äußerungen Netanjahus in Brüssel als beunruhigend. Es brauche einen Staat für die Palästinenser und keine endlose Besatzung, forderte er. Der Ire Micheál Martin nannte Netanjahus Aussagen "inakzeptabel". Der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel sagte: "Wenn die Israelis glauben, dass die Zweistaatenlösung keine Lösung ist, dann sind sie ziemlich isoliert."
Der jordanische Außenminister Aiman Safadi kritisierte, mit ihrem Nein widersetze sich die israelische Regierung der gesamten internationalen Gemeinschaft. Er war ebenso wie seine Kollegen aus Saudi-Arabien, Ägypten und dem Generalsekretär der Liga der Arabischen Staaten zu den Gesprächen in Brüssel eingeladen.
Die belgische Außenministerin Hadja Lahbib, deren Land in diesem Halbjahr den EU-Ratsvorsitz hat, rief zu einem "sofortigen Waffenstillstand" im Nahen Osten auf. Baerbock sprach sich hingegen erneut für "humanitäre Pausen" aus. Die Bundesregierung lehnt einen Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt ab und begründet dies mit dem Recht Israels auf Selbstverteidigung.
Ob der steigende Druck auf Israel Wirkung zeigen kann, gilt allerdings als fraglich. Über die schwierige Lage berieten die europäischen Chefdiplomaten mit dem israelischen Außenminister Israel Katz. Dieser ließ Journalistenfragen zur Zweistaatenlösung unbeantwortet. Israels Priorität sei es, "die Geiseln zurückzubringen", die die radikalislamische Hamas bei ihrem Großangriff am 7. Oktober genommen habe, sagte Katz. Zudem wolle er mit den Europäern über Hilfe zur Zerschlagung der Palästinenserorganisation sprechen.
Nach israelischen Angaben sind 132 Geiseln noch in der Gewalt der Hamas, 28 von ihnen sollen allerdings tot sein. Laut einem Bericht der US-Zeitung "Wall Street Journal" vom Sonntag laufen derzeit Verhandlungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten mit Israel und der Hamas, um beide Seiten zu einer Einigung zu bewegen. Ziel der Vermittler ist demnach die Freilassung der Geiseln im Austausch für einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen.
Eine Mehrheit der Israelis lehnt inzwischen eine Zweistaatenlösung ab. Viele befürchten, dass es damit auch aus dem Westjordanland Raketen auf israelische Orte hageln könnte. Außerdem argumentieren manche, ein unabhängiger Staat ausgerechnet nach dem beispiellosen Massaker vom 7. Oktober komme einer Belohnung dafür gleich. Die islamistische Hamas ist ebenfalls gegen eine Zweistaatenlösung. Sie strebt die Zerstörung Israels an
EU-Diplomaten befürchten, dass Netanjahu auf einen Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl im Herbst setzt. Der Republikaner hatte Netanjahu in seiner ersten Amtszeit stark unterstützt und unter anderem verkündet, dass die USA den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland nicht mehr kategorisch als völkerrechtswidrig betrachten würden. Trumps Nachfolger Biden hat diesen Kurs wieder korrigiert. Der Demokrat fordert stattdessen von Israel Offenheit für eine Zweistaatenlösung.
Als wenig erfolgversprechend wird von mehreren Teilnehmern des Ministertreffens auch ein Vorstoß des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell für eine Friedenskonferenz-Initiative angesehen, die im ersten Schritt Spitzengespräche ohne die Palästinenser und Israelis umfassen könnte. "Es hat keinen Wert, dass wir wieder Friedenskonferenzen organisieren, wenn keiner da ist und oder alle und dann Israel das Gefühl hat, dass sie vor einem Gericht stehen", sagte der luxemburgische Außenminister Bettel.
Thema bei dem Außenministertreffen war auch die geplante EU-Marinemission im Roten Meer. Baerbock sagte, sie wolle mit ihren Kollegen die letzten Details "dringend gemeinsam klären". Die Mission soll dazu beitragen, Handelsschiffe gegen Angriffe der Huthi-Miliz im Jemen zu sichern. Dafür ist die deutsche Fregatte "Hessen" im Gespräch. Die EU will das Mandat laut Diplomaten im Februar beschließen und die Angriffe von militant-islamistischen Huthi beenden. Diese wollen mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen.
Nach den derzeitigen Planungen wird der Einsatz vorsehen, europäische Kriegsschiffe zum Schutz von Frachtschiffen in die Region zu entsenden. Eine Beteiligung an den US-Angriffen gegen Huthi-Stellungen im Jemen ist bislang nicht geplant. Deutschland will sich nach Angaben aus Regierungskreisen mit der Fregatte "Hessen" an der Militäroperation beteiligen - vorausgesetzt, dass der Bundestag nach dem Abschluss der EU-Planungen ein entsprechendes Mandat erteilt. Das Schiff ist unter anderem mit Flugabwehrraketen ausgerüstet.