In Schwarz gekleidet, ein Kreuz baumelt auf der Brust, die weißblonden Haare tentakelartig zu Dreads geflochten, singt Shaman: "Wir stehen auf, solange Gott und die Wahrheit mit uns sind." Vom vaterländischen Pathos ergriffen stehen im Studio junge Mädchen und alte Frauen, Tränen in den Augenwinkeln, kollektiv auf. Die Symbolik ist deutlich: Ein Land erhebt sich – so wie die großartige russische Armee, die nach Jahren der Untätigkeit endlich zur "Entwaffnung der ukrainischen Faschisten" schreitet.
Der Name Z-Pop oder Z-Musik ist angelehnt an koreanischen K-Pop. Und nach dem von Russlands Armee im gegenwärtigen Krieg ikonenhaft verwendeten Großbuchstaben Z. Alexa von Winning, Dozentin an der Universität Tübingen, hat diese patriotische Popkultur untersucht und in einem Artikel für das Fachmagazin "Osteuropa" beschrieben.
"Es gibt eine staatliche Förderung für diese Musik, die lässt sich aber nicht immer mit direkten Geldzuweisungen erklären. Die Förderung drückt sich vor allem in elementaren Dingen aus, wie der Bereitstellung von Infrastruktur, Sendezeit, Studiokapazitäten, öffentlichen Auftritten bei Großveranstaltungen und in Stadien. Ohne Zustimmung staatlicher Institutionen gibt es das alles nicht. Musiker wie Shaman, der trotz einer exzellenten musikalischen Ausbildung zu Beginn des Krieges eher ein C-Promi war, profitieren davon", so die Historikerin. Darüber hinaus durfte sich der Sänger aber über "eine direkte Förderung aus dem Präsidialfonds für Kulturinitiativen freuen, so erhielt er im März 2023 die Summe von 30 Millionen Rubel (heute etwa 300.000 Euro) für die Hauptrolle in einer sogenannten ‚Ethno-Oper‘", so die Wissenschaftlerin.
Mit Textzeilen wie aus Shamans "Ich bin Russe, ich gehe bis zum bitteren Ende. Ich bin Russe, mein Blut ist das meines Vaters. Ich bin Russe, und damit habe ich Glück. Ich bin Russe, der ganzen Welt zum Trotz" trifft der Künstler den Zeitgeist, der in Russland nicht nur vom Kreml, sondern auch von sogenannten Gongos verbreitet wird: Nichtregierungsorganisationen, die vom Staat stark beeinflusst, gefördert und finanziert werden, wie die patriotische Russische Militärhistorische Gesellschaft.
Die Geschichte dieser "putriotischen Musik", wie oppositionelle Russen sie nennen – ein Wordhybrid, gebildet aus Patriotismus und dem Namen des Präsidenten –, reicht zurück bis in die Vorkriegsjahre. "Der Kreml wollte mit der Förderung einer patriotischen Musikszene offensichtlich die Leere füllen, die die einst sehr lebhafte und populäre russischen Hip-Hop- und Rapszene hinterlassen hat, nachdem sie der Staat erst kriminalisiert, dann außer Landes vertrieben hat", so Alexa von Winning.
Namen wie Noize MC, Morgenshtern, Oxxxymiron, FACE, IC3PEAK, Husky, FriendZone standen Mitte der Zehnerjahre für eine sehr eigene, kreative, vor allem aber unbequeme russische Rap- und Hip-Hop-Szene. Wie in westlichen Ländern auch war diese sehr sozial- und damit systemkritisch. Aber nicht nur. Im Lied "Moi Putin" (dt. "Mein Putin") besingt Mashany 2015 den Präsidenten als Retter der Ukraine und Beschützer Russlands. Der russische R-‘n‘-B-Star Timati nannte im selben Jahr Putin im Lied "Lutschi drug" (dt. "Bester Freund") einen "coolen Superhelden". Und in einem Video von 2017 ließ der Rapper FACE vor brennender US-Flagge den Comichelden Captain America von einem russischen Bären besiegen, rief dabei immer wieder: "Ich lass’ den Westen fallen".
2018 begann der Kreml, die eigene Hip-Hop- und Rapszene unter Generalverdacht zu stellen. Zunächst hagelte es Konzertverbote, dann wurden Haftstrafen ausgesprochen, Rapper wie Husky wurden kurzfristig verhaftet, zu ausländischen Agenten erklärt und im besten Fall noch zu horrenden Geldstrafen verurteilt. Die Kremlpartei Geeintes Russland debattierte über die Gefahren des Rap sogar auf ihrem Parteitag. Es ging um die "moralische Gefährdung" der Jugend. Bis Putin schließlich die Diskussion beendete, indem er sich für die Integration von Rap in die "patriotische Erziehung" aussprach.
Verantwortlich dafür wurde der ehemalige Musiker, Produzent und Putin-Vertraute Igor Matvienko, Mitglied des Kulturrats. Rap und Hip-Hop wurden ab sofort in den Dienst des Vaterlands gestellt – wenn sie schon nicht verhindert werden konnten. Putins Verhältnis zur Musik war immer von einer nationalistischen Idee geprägt, was allein darin seinen Ausdruck fand, dass er die alte sowjetische Hymne trotz ihres kolonialen Impacts zu Beginn seiner Amtszeit "recycelt" hatte.
Mit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 flohen die populärsten russischen Rapper ins Ausland. Morgenshtern lebt mittlerweile in den Emiraten. Auch sein bekannter Kollege Noize MC, alias Ivan Alexejew, verließ das Land und nahm seinen Song "Voodoo" auf Ukrainisch auf. Oxxxymiron zog nach England, sagte alle Russland-Konzerte ab ("Ich kann euch nicht unterhalten, während in der Ukraine russische Raketen fallen"). Danach begann er eine viel beachtete "Russians Against War"-Tour mit Konzerten in London, Berlin und Istanbul.
Doch der Preis, den die ins Ausland geflohenen Künstler bezahlen, ist hoch. Als "Vaterlandsverräter" oder "ausländische Agenten" gebrandmarkt, drohen sie in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Denn ein neues Publikum erschließt sich ihnen im Westen wegen der Sprachbarrieren und der Eigenständigkeit russischen Hip-Hops kaum. Sie teilen die Einsamkeit und das Heimweh früherer russisch-sowjetischer Exilkünstler, Literaten, Komponisten und Maler.
Andere junge Künstler sind in Putins Reich abgetaucht, hoffen auf ein baldiges Ende des Schreckens. Der zuvor inhaftierte Husky versucht sich indes in Demut, meldete sich Gerüchten zufolge freiwillig zum Einsatz im Donbas.
Mit der Förderung einer eigenen Z-Musik-Szene verfolgt der Kreml auch das Ziel, "auf populären Videoportalen wie Youtube, die momentan zumindest nicht abgeschaltet werden, aber nur schwer zu kontrollieren sind, den frei gewordenen Platz zu füllen und die ‚unpatriotische‘ Szene zu verdrängen", so die Historikerin von Winning. "Sie zielen auf jüngere wie ältere Nutzer und knüpfen musikalisch teilweise an ältere Traditionen an. Zum Beispiel an ‚Estrada‘", ein schlagerähnliches Genre aus Sowjetzeiten. Dass ausgerechnet Alla Pugacheva, die populäre "Königin des Estrada", das Land ebenfalls verlassen hat, glich einem Paukenschlag und war ein schwerer propagandistischer Rückschlag für den Kreml.
Stets geht es in dieser "putriotischen Musik" um die ganz großen Gefühle, um Patriotismus, ums Vaterland, um historische Reminiszenzen, um Blut, Ehre und Heimattreue. Und natürlich dürfen reichlich Tränen vergossen werden – was auch garantiert ist, wenn beispielsweise Shaman singt. Wen stört da schon, dass er in schwarzer Lederkluft mit rot-weiß-blauer Armbinde eher einem tanzenden SS-Mann ähnelt als jenen Sowjetsoldaten, die 1945 ihre Flagge auf dem Reichstag hissten?
Seine Karriere hat Yaroslav Dronov in der beliebten Sendung "Golos", der russischen Version von "The Voice", begonnen. Sein zweiter beziehungsweise dritter Platz garantierte ihm zunächst eine gigantische Prominenz. Dann verschwand er für Jahre in der Versenkung. Seit seiner Rückkehr darf er auf sogenannten "Putings" auftreten – jenen Jubel-Events also, auf denen der Präsident massenwirksam patriotische Feuerwerke abfeuert – und gegen den Westen wettert. "Shaman passt genau in Putins Bild von Russland. Er ist weiß, trägt sein großes Holzkreuz gut sichtbar, singt über seinen russisch-orthodoxen Glauben", so der Ethnomusikologe David-Emil Wickström von der Popakademie Mannheim. Er sei für eine Karriere in der kulturellen Elite Russlands quasi prädestiniert.
Und das sorgt für Nachahmer. Viele Künstler sahen ihre Chance, wollten in Shamans Windschatten etwas vom großen Kuchen abhaben. Ähnlich wie einst bei den vom Briten Bob Geldoff organisierten Benefizkonzerten ("USA for Africa") fand sich die verbliebene Creme der russischen Kunstszene zusammen, sang im Auftrag des Kreml: Larissa Dolina, Nikolaj Baskow, Nadeshda Babkina und Alexander Skljar stimmten bei Shamans Kriegshymne "Wstanem" ("Wir stehen auf") mit ein. Keiner wollte sich dem karrieregefährdenden Verdacht aussetzen, in diesen rauen Zeiten tatenlos "sitzen zu bleiben".
dp/fa