Franco verfügt in Tibú im Nordosten Kolumbiens auf zwei Hektar über rund 20.000 Pflanzen, mit denen er sechs Personen versorgt.
Wie ihm geht es vielen seiner Nachbarn. "Wir wollen in der Legalität bleiben, aber der Hunger spricht letztlich lauter", sagt Franco. Tibú ist die kolumbianische Gemeinde mit dem meisten Koka-Anbau. Das südamerikanische Land ist der größte Kokain-Produzent der Welt, vor Peru und Bolivien.
Zwar ist es in den vergangenen Jahren relativ ruhig gewesen um Kartelle wie das berühmte namens Medellín, das einst Drogenbaron Pablo Escobar unterhielt, dessen Ruhm durch die Netflix-Serie "Narcos" einen neuen Höhepunkt erreichte. Eine neue Generation von Drogenbossen ist weiter aktiv. Diese operieren aber - wie der 2021 festgenommene "Golf-Clan"-Chef Otoniel - lieber unauffällig.
Außerdem übernahmen nach dem Friedensvertrag zwischen Regierung und Farc-Guerilla im Jahr 2016 abtrünnige Ex-Farc-Kämpfer oder andere kriminelle Organisationen die Kontrolle über den Kokainhandel. "In Tibú gibt es viele bewaffnete Gruppen. Auch das Militär ist da. Manchmal patrouilliert die Guerilla, zehn Minuten später sieht man die Soldaten", berichtet Bauer Franco.
Dennoch breitete sich der Koka-Anbau in Kolumbien 2021 auf 204.000 Hektar aus, wie ein UN-Bericht kürzlich dokumentierte, eine Steigerung um 43 Prozent zum Vorjahr, ein historischer Höchstwert. Auch das Potenzial der Kokainproduktion erreichte mit 1400 Tonnen eine Rekordhöhe.
Eine Antwort auf die Frage, weshalb das so ist, liegt unter anderem in den USA, wohin ein großer Teil des Kokains geschmuggelt wird. Und in Europa. In Deutschland etwa und in den Niederlanden wurden in den vergangenen Jahren Rekordmengen beschlagnahmt, Schmugglerringe ausgehoben, Prozesse geführt.
Erst kurz vor dem Jahreswechsel verkündet das Zollfahndungsamt Hamburg einen großen Fund: Mehr als dreieinhalb Tonnen Kokain haben die Ermittler demnach im Hafen sichergestellt. "Die Sicherstellung dieser beiden Großmengen belegt erneut den anhaltend hohen Zufuhrdruck von Kokain nach Europa", sagt der stellvertretende Leiter des Zollfahndungsamtes Hamburg, Matthias Virmond.
"Das Geschäft blüht", sagt Daniel Mejía, Wirtschaftsprofessor und Sicherheitssekretär der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, der dpa. "Der Anstieg des Dollars in der Pandemie und die Verzweiflung der Menschen auf der ganzen Welt, die sie dazu bringt, mehr Alkohol und Drogen zu konsumieren, haben das Angebot in die Höhe getrieben."
Während etwa in Deutschland nach Angaben des Bundeskriminalamts der Kokainkonsum auf ein Rekordniveau stieg, steigerten Koka-Bauern und Drogenhändler in Kolumbien die Produktion. "Viele ländliche Gegenden sind ohnehin arm, der Staat ist abwesend. Die Bauern sehen Koka als einzige Möglichkeit", sagt die kolumbianische Menschenrechtsanwältin Rosa María Mateus Parra der dpa. Corona-Maßnahmen und Probleme bei den Lieferketten kamen dazu.
Eigentlich sollte ein Teil der Anbaufläche durch Zerstören längst verschwunden sein, ein anderer durch einen freiwilligen Wechsel der Bauern zu anderen Nutzpflanzen. So gehörte zu dem Friedensvertrag 2016 eine Strategie, den Bauern mit Subventionen für alternative Anbauprodukte wie Kaffee, Zuckerrohr und Kochbananen und mit Plänen für die Entwicklung ländlicher Gebiete aus der Armut zu helfen.
"Das Vernichten von Koka-Plantagen funktioniert nicht, weil die Bauern danach wieder neu anbauen", sagt Anwältin Parra. "Der Ersatz der Koka durch legale Alternativen wäre eine plausible Lösung." Ein großer Teil der Projekte scheitert jedoch aus diversen Gründen, unter anderem, so Parra, weil bewaffnete Gruppen die Bauern als schwächstes Glied in der Kette zwängen, Koka anzupflanzen.
Bauer Franco dagegen betont die wirtschaftliche Not: "Das Einzige, was uns wirklich zwingt, sind der Hunger und die Vernachlässigung durch die Regierung." 2021 setzten Koka-Bauern in Tibú sogar Soldaten fest, um das Zerstören von Koka-Pflanzen zu verhindern. Mit diesen könne man einfach ein Vielfaches mehr verdienen als mit Kochbananen. "Der Verkauf von Koka bringt mir bis zu drei Millionen Pesos im Monat (rund 600 Euro)", sagt Franco. Mit Bananen mache er keinen Gewinn.
Francisco González aus der Gemeinde San Pablo hat es nach 35 Jahren als Koka-Bauer dank sozialer Organisationen trotzdem geschafft, umzusteigen. Er betreibt nun Viehwirtschaft, baut Reis und Kakao an und sagt: "Wir können nicht weiter von dieser Pflanze abhängig sein. Wir müssen vorankommen, weitere legale Projekte anstreben."
Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro, seit August im Amt, will ebenfalls andere Wege gehen. "Der irrationale "Krieg gegen die Drogen" zeigt das Versagen der Menschheit", sagte er vor der UN-Generalversammlung in New York. Bisher war Kolumbien bei diesem Krieg enger US-Verbündeter in Südamerika, bekam Millionen US-Dollar für Polizei und Militär. Doch Petro setzte das Zerstören von Koka-Feldern aus. Stattdessen will er verstärkt Drogenlieferungen abfangen und Bauern beim Umstieg unterstützen.
Bauer Franco jedoch meint: "Es wird sehr schwer, einen Ausweg zu finden, ohne dass der Koka-Anbau legalisiert wird." Ein heikles Thema in Kolumbien, wo Autos - etwa bei der Einfahrt in ein Einkaufszentrum - von Hunden nach Kokain durchsucht werden, und wo bereits auf den Besitz geringer Mengen Strafen stehen. Anwältin Parra geht noch weiter: "Dieses Problem kann nicht von einem Land allein angegangen werden. Sondern nur global, es ist eine Frage der öffentlichen Gesundheit."
agenturen/pclmedia