Was für ein Rollentausch: In den 2010er Jahren galt Griechenland als "schwarzes Schaf", jetzt sprechen viele von Deutschland als dem "kranken Mann Europas". Die Zeitung "Ta Nea" fragte am Wochenende das Undenkbare: "Verkaufen die Deutschen ihre Inseln?" Christian Lindners Hochzeitsinsel Sylt wird als mögliches Verkaufsobjekt genannt, auch Helgoland und Rügen.
Die Debatte ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, hat aber einen ernsten Hintergrund. Sie führt zurück in den Oktober 2010, als es in Deutschland eine heftige Debatte um die Hilfskredite für Hellas gab. "Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen… und die Akropolis gleich mit!" forderte damals die "Bild"-Zeitung und gab als Motto aus: "Ihr kriegt Kohle, wir kriegen Korfu." In der Krise hatten billige Ressentiments Hochkonjunktur, auf beiden Seiten. Das Magazin "Focus" titelte "Betrüger in der Eurozone". Die Zeitschrift attestierte den Griechen einen "beispiellosen Abstieg". Das Land sei "von der Wiege zum Hinterhof Europas" verkommen.
Die Griechen revanchierten sich. Demonstranten bauten auf dem Athener Syntagmaplatz einen Galgen auf, an dem ein Puppe hing, die Angela Merkel darstellen sollte. Ein Karikaturist bildete die Kanzlerin als Zirkusdompteuse ab, die mit einer geschwungenen Peitsche griechische Rentner zum Sprung durch einen brennenden Reif antrieb.
Die "Troika", die Aufseher der Europäischen Zentralbank, der EU und des Internationalen Währungsfonds, führten damals ein strenges Regiment. Die Erinnerung an die Demütigungen, die sie in den Krisenjahren vor allem von deutschen Politikern und Medien über sich ergehen lassen mussten, hat sich im Gedächtnis der meisten Griechinnen und Griechen tief eingegraben. Seit der Krise ist im Verhältnis der beiden Völker nichts mehr, wie es war.
Während die Bundesregierung nun auf Geldsuche ist, hat der griechische Finanzminister Kostis Hatzidakis seinen Etat im Griff. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres erwirtschaftete er einen Primärüberschuss von 6,1 Milliarden Euro. Das waren 500 Millionen mehr als im Budget angesetzt. Griechenland wird dieses Jahr, wie schon 2022, seine Haushaltsziele übertreffen. Kein anderes Land der Euro-Zone hat in den vergangenen zwei Jahren seine Schuldenquote so schnell gesenkt wie Griechenland. Zugleich verfügt das Land über Rücklagen von 37 Milliarden Euro. Davon kann Christian Lindner nur träumen.
Nun meldete sich Panagiotis Lafazanis aus der politischen Versenkung zu Wort, ein längst in Vergessenheit geratener Minister der radikal-linken Syriza-Regierung 2015. "Das Leben rächt sich", stellte Lafazanis jetzt genüsslich in einem Interview fest. Wenn Deutschland Geld für den Haushalt brauche, müsse das Land eben die Steuern erhöhen und Staatsbesitz verkaufen, wie die Euro-Partner es seinerzeit Griechenland diktierten. Sollten die Deutschen das Desaster nicht selbst in den Griff bekommen, müssten sie unter die Aufsicht der Troika gestellt werden", schlägt Lafazanis vor. "Dann werden sie eben gezwungen."